von Manfred Orlick
Wie kaum ein anderer deutscher Verlag steht der Name Rowohlt für Weltliteratur und zugleich für zeitgenössische Literatur. Der Rowohlt Verlag in Reinbek bei Hamburg ist einer der bedeutendsten deutschen Verlage – er war und ist bis heute Heimat von Schriftstellern wie Kurt Tucholsky, Franz Kafka, Ernest Hemingway, Elfriede Jelinek, Martin Walser, John Updike oder José Saramago.
Dabei fing alles ganz harmlos an: Der gerade zwanzigjährige Ernst Rowohlt, am 23. Juni 1887 in Bremen geboren, unternahm seinen ersten zaghaften Versuch als Verleger in München-Schwabing. Sein verlegerisches Debüt war ein Lyrikbändchen „Lieder der Sommernächte“, verfasst von seinem Freund Gustav C. Edzard aus Bremer Jugendjahren. Die 270 handnummerierten Exemplare wurden natürlich kein durchschlagender Erfolg. Daraufhin ließ der Autor die Finger von literarischen Gefühlsergüssen und wurde lieber Anwalt in seiner Vaterstadt.
Ernst Rowohlt dagegen hatte „Blut geleckt“. Trotz einer Banklehre war es schon seit Jahren sein Wunsch gewesen, Buchhändler, wenn möglich Verlagsbuchhändler, zu werden. Und wie immer in solchen Fällen: Beim Vater fand er dafür zunächst wenig Unterstützung; tatkräftige Hilfe leistete jedoch die Mutter, die einen Kontakt mit Anton Kippenberg, dem Regenten des Leipziger Insel-Verlages, vermittelte. Es folgten kurze Volontärzeiten in Leipzig und München. Nach seinem Verleger-Debüt ging Rowohlt für ein Jahr nach Paris, doch bald kehrte er nach Leipzig zurück. Die Messestadt war vor dem Ersten Weltkrieg das Mekka des Verlagswesens und so gründete der junge Rowohlt hier den Rowohlt Verlag Paris-Leipzig.
Sein zweites Buch war wiederum ein Lyrikband: „Kategorie“ von Paul Scheerbarth, dem jedoch mehr Erfolg vergönnt war. Als nächste Autoren konnte Rowohlt Max Dauthendey, Herbert Eulenberg, Hugo Ball, Georg Heym, Franz Kafka und andere verpflichten. Die jungen wilden Dichter betrachteten den Rowohlt Verlag als ihre Heimat.
Zu dieser Zeit kam der Verleger Kurt Wolff als Geldgeber und stiller Teilhaber hinzu. Das fruchtbringende Bündnis hielt jedoch nur drei Jahre. 1912 trennten sich Rowohlt und Wolff, der neben dem Verlag (ab 1913 Kurt Wolff Verlag) auch die Vertragsrechte übernahm. Ernst Rowohlt arbeitete zunächst im S. Fischer Verlag und Hyperion-Verlag, ehe er sich freiwillig zum aktiven Armeedienst meldete.
Bereits 1919 gründete Rowohlt seinen zweiten Verlag in Berlin. Die politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten machten den erneuten Start jedoch nicht leicht, den Rowohlt zudem mit politischen, nicht gerade verkaufsträchtigen Manifesten (Büchner, Hasenclever und so weiter) wagte. In den nächsten Jahren konnte die Buchproduktion des Verlages jedoch gesteigert werden, vor allem mit Autoren wie Hans Fallada, Alfons Goldschmidt oder Leo Slezak.
Rowohlt fühlte sich keiner literarischen Strömung verpflichtet, er wollte einfach nur schöne und preiswerte Bücher machen. So verlegte er immer wieder Lyrik oder Dramatik, obwohl er genau wusste, dass diese Sparten eher ein Verlustgeschäft waren. Dafür machte er mit 44 Bändchen von Honoré de Balzac ein glänzendes Geschäft. Die Memoiren Casanovas in einer neuen Übersetzung wurden ebenfalls ein Erfolg. Im Laufe der Jahre vergrößerte Rowohlt den Kreis seiner Autoren, zu ihnen gehörten Kurt Tucholsky, Arnolt Bronnen, Alfred Polgar, Joachim Ringelnatz und andere namhafte Schriftsteller der Weimarer Republik. Die Namen zeigen auch, wie breit gefächert die Verlagspalette war.
Daneben machte sich Rowohlt besonders um die Einführung der amerikanischen Literatur in Deutschland verdient. Sinclair Lewis, Ernest Hemingway, William Faulkner und Thomas Wolfe – die besten amerikanischen Autoren der zwanziger Jahre waren mit ihren Werken im Rowohlt Verlag vertreten. Dieses Engagement zeichnet den Verlag bis heute aus.
Die Inflation und die Weltwirtschaftskrise hatte der Rowohlt Verlag noch relativ gut überstanden, doch die Machtübernahme der Nationalsozialisten war ein herber Schlag. Politisch missliebige und jüdische Autoren durften nicht mehr verlegt werden. Dazu mischten sich die neuen Machthaber auch noch in die Verlagsarbeit ein. Als Rowohlt sich weigerte, seine jüdischen Lektoren zu entlassen, erhielt er 1938 Berufsverbot und die Hälfte der Bücher des Verlages wurde beschlagnahmt. Bald darauf verließ er mit der Familie Deutschland in Richtung Brasilien, wo Verwandte lebten. Aber bereits ein Jahr später kehrte er ins nazibeherrschte Deutschland zurück. Er glaubte an einen bevorstehenden Zusammenbruch des Dritten Reiches. Eine Fehleinschätzung, die der Dreiundfünfzigjährige mit einem kurzen Kriegsdienst in Griechenland und im Kaukasus bezahlen musste. Die letzten Kriegsjahre verbrachte er allerdings wieder in Berlin.
Bereits in den dreißiger Jahren hatte Ernst Rowohlt seinen Sohn Heinrich Maria Ledig (aus erster Ehe mit der Schauspielerin Maria Ledig) immer mehr in die Verlagsleitung einbezogen. Als er schließlich Berufsverbot hatte, übernahm dieser bis 1943 die Leitung des Rowohlt Verlages vollständig.
Nach 1908 und 1919 gründete Ernst Rowohlt 1945 zum dritten Mal einen Verlag. Als erster erhielt sein Sohn von den Amerikanern eine Lizenz für die Wiedereröffnung des Verlages in Stuttgart. Ein Jahr später durfte der Vater mit Genehmigung der Engländer in Hamburg einen Verlag gründen. 1950 siedelte das Stuttgarter Unternehmen dann nach Hamburg über.
Ein schwieriger Beginn – nicht nur wegen dieser bürokratischen Hindernisse, denn viele ehemalige Mitarbeiter oder Stammautoren hatten den Krieg nicht überlebt oder waren noch in der Emigration. In den ersten Nachkriegsjahren erschienen bei Rowohlt Werke von Kästner, Ringelnatz, Tucholsky oder Borchert.
Ein verlegerischer Glückstreffer waren „Rowohlts Rotations-Romane“, wobei die Romane wie Zeitungen auf Rotationsmaschinen gedruckt wurden. Die Idee „möglichst viele Buchstaben auf möglichst wenig Papier für möglichst wenig Geld“ hatte der Sohn aus Amerika mitgebracht. Die Rotations-Romane waren die Vorstufe für die rororo-Paperbackreihe, die den deutschen Buchmarkt revolutionierte. Starttitel der Taschenbuchreihe war Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ Unter den hundert ersten Titeln fanden sich Autoren der Weltliteratur wie Ernest Hemingway, Jack London, Bertolt Brecht oder Graham Greene (immerhin mit sechs Titeln vertreten).
Mit diesen preisgünstigen Ausgaben erzielte der Verlag in kürzester Zeit sensationelle Auflagen. Seither sind rund 16.000 rororo-Bände erschienen, in einer Gesamtauflage von nahezu 600 Millionen Exemplaren. Angespornt von diesem Erfolg startete man mit den beiden rororo-Reihen „Rowohlt Deutsche Enzyklopädie“ (1955) und „Rowohlt Monographien“ (1958) den Versuch mit enzyklopädischer Taschenbücher mit einem volkspädagogischen Bildungsanspruch.
Wenn von Glückstreffern die Rede ist, muss unbedingt ein Titel erwähnt werden: „Götter, Gräber und Gelehrte“ von Kurt W. Marek (unter dem Pseudonym C.W.Ceram). Das 1949 erschienen Sachbuch über die Archäologie sollte der größte Bucherfolg des Verlages überhaupt werden. Die heutige Gesamtauflage beträgt immerhin über 1,5 Millionen Exemplare.
Als schwerkranker Mann konnte Ernst Rowohlt 1960 noch die Krönung seiner Verleger-Laufbahn erleben: die Einweihung des neuen Verlag-Gebäudekomplexes in Reinbek vor den Toren Hamburgs. Am 1. Dezember starb Ernst Rowohlt an den Folgen eines Herzinfarktes. Zu seiner Beerdigung erklang seine Lieblingsmelodie: die Sozialistenhymne „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit!“. Nach seinem Tod leitete sein Sohn den Verlag weitgehend allein, bis dieser schließlich 1982 an die Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe überging und seitdem von wechselnden Verlagsleitern geführt wird.
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