von Rita Rehling
Hier ist die Rede von einem Roman, ein Genre, das aus Gründen einer begrenzten Bewältigungskraft im Blättchen eigentlich (leider) nicht besprochen wird. Dass diese Empfehlung dennoch hier Platz findet, ist dem hohen Maß an biografischer Authentizität zu danken, mit dem Marion Brasch die Geschichte ihrer Familie erzählt. Einer DDR-Familie, die in gewissem Sinne prototypisch war für Elternhäuser, deren „Oberhäupter“ sich engagiert in den Dienst des Vorhabens stellten, dem überstandenen Faschismus und der kapitalistisch verbliebenen Welt nun das menschenfreundliche Gesicht des Sozialismus entgegenzusetzen.
Ein Versuch, der ungeachtet seines beschämenden Ausgangs honorig war in jenen frühen Aufbau-Zeiten, in denen zum Beispiel die Eltern Marion Braschs aus der englischen Emigration nach Berlin kamen und sich hier selbstlos der nun per sowjetischer Belehnung führenden und mehr und mehr allobwaltenden SED zur Verfügung stellten. Marions Vater tat dies als stellvertretender Kulturminister ebenso getreu wie dann – degradiert, weil für seinen dissidentischen Sohn verantwortlich gemacht – als Vize-Parteichef des Bezirkes Karl-Marx-Stadt und nach neuerlicher Maßregelung Generalsekretär der Liga für Völkerfreundschaft. Und – wie viele seiner Generation – tat er das bis zur Selbstverleugnung, deren parteisoldatisches Verständnis den Ehemann und Vater Brasch nicht nur um ein Familienleben sondern um seine ganze Familie brachte. Alle drei Söhne, Thomas, Peter und Klaus, rebellieren gegen den Vater, der nie Zeit hat und sie ins Internat steckt, und wenn er ihnen doch Aufmerksamkeit widmet, doch nur indoktriniert. Alle drei sterben im Gefolge von Drogen, Alkohol und/oder entwurzelter Isolation. Lediglich Marion, die Jüngste, dessen „richtiger“ Erziehung Horst Brasch sich nach dem familiären Desaster verpflichtet fühlt und die, wiewohl auch sie die Begeisterung des Vaters für „die gute Sache“ nicht wirklich zu verinnerlichen vermag, den Kontakt zu ihm angepasst loyal beibehält. Womit sie ihm einmal auch das Leben rettet, als Horst Brasch sich allen eigenen, und stumm ertragenen Pressionen durch einen Selbstmord zu entziehen sucht.
Marion, die Letztüberlebende der Funktionärsfamilie Brasch, schreibt über dies tragische und noch im Nachhinein über den Umgang der „Pioniere der wahren Menschlichkeit“ mit Ihresgleichen – von Dissidenten ganz zu schweigen – wütend machende Familienschicksal mit einer bemerkenswerten Lakonie, schon der Buchtitel macht dies deutlich. Sie schreibt, als wollte sie selbst bei diesem Aufschreiben dem nachfolgenden Schmerz eine Barriere entgegen setzen. Über 20 Jahre nach dem Ende der DDR mag man fragen, ob es solcher Bücher noch bedarf, da doch eigentlich alles Wesentliche über den Realsozialismus bereits gesagt sei. Für solche wie die von Marion Brasch ist das zu bejahen, spiegelt sie doch etwas, das der Publizist Robert Misik nicht von ungefähr „eine Psychose namens DDR“ nannte und die viel länger nachwirkt, als einst vermutet.
Marion Brasch: Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie, S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2012, 400 Seiten, 29,90 Euro
Schlagwörter: Horst Brasch, Marion Brasch, Rita Rehling, Robert Misik