von Ronald Lötzsch
Als während der letzten »Popanz-Debatte« (so stern-Chefredakteur Petzold im Editorial zu Nummer 34/2004; siehe auch »Viel Wind um nichts« in Das Blättchen 18/2004) ruchbar wurde, wer dem zu gründenden »Rat für Rechtschreibung« vorsitzen würde, schwante mir nichts Gutes.
Im Gespräch war Hans Zehetmair, früher CSU-Kultusminister des Freistaates Bayern, seit 1989 zusätzlich für Wissenschaft zuständig und von 1993 bis zum Ausscheiden aus der Regierung auch stellvertretender Ministerpräsident. Er hatte 1995 gegen die von den Vertretern Österreichs und der Schweiz bereits offiziell gebilligte »Reform« sein Veto eingelegt. Warum, hatte der studierte Germanist und Altphilologe, der auch zehn Jahre Gymnasiallehrer gewesen war, schon vorher dem Spiegel anvertraut. Daran erinnernd, daß er schon 1989 verhindert habe, daß »aus dem Hai ein Hei, aus dem Kaiser ein Keiser, aus dem Boot ein Bot wurde«, bekannte er stolz: »Mit mir ist das nicht zu machen, das wäre eine Barbarei an der deutschen Sprache … Es wäre eine Katastrophe, wenn es zur Katastrofe käme«. Die meisten Älteren würden sich daran nicht gewöhnen können und wollen, und die Jüngeren hätten »einen freien, vielfältigen Umgang mit fremden Sprachen und fremden Wörtern, da brauchen sie solche Primitivschreibungen nicht.« Daß der Papst künftig auf das große H in der deutschen Version eines seiner Titel verzichten sollte, kontert Minister Zehetmair mit dem »Argument«: »Unmöglich, das halte ich beinahe für einen Eingriff in Glaubensfragen. Für katholische Christen ist doch klar, daß es einen Heiligen Vater, aber viele heilige Väter gibt … Diesen Unterschied können doch nicht Sprachwissenschaftler mit irgendeiner Regel einebnen … Meine letzten Zweifel schwinden, daß da finstere Ketzer am Werke waren«. All das ist nachzulesen in Der Spiegel 37/1997.
Auf diesem Niveau diskutierten also Politiker, die bei der Durchsetzung der »Rechtschreibreform« das letzte Wort haben, vor acht Jahren. Und wie steht es heute um die Kompetenz der Zuständigen? Der Kultusministerin von Rheinland-Pfalz, die während der vorjährigen »Sommerloch-Debatte« als Präsidentin der Kultusministerkonferenz amtierte, sah ich mich im Blättchen 18/2004 gezwungen zu bescheinigen, daß sie nicht die blasseste Ahnung hat, worum es eigentlich geht. Ihre jetzt amtierende Nachfolgerin, die brandenburgische Kultusministerin, scheint sie in dieser Hinsicht noch zu übertreffen. In einem Interview, das sie am 11. April dieses Jahres dem Deutschlandfunk gab, beantwortete sie die abschließende Frage, ob der Termin der endgültigen Installierung der »Reform«, der 1. August, auch eingehalten werden könne, ausweichend mit: »Wir gehen davon aus.«
Inzwischen weiß man, daß das nicht der Fall sein wird. In Kraft treten werden nur die »unstrittigen« Teile. Und zu diesen gehören natürlich solche Anachronismen wie die in der Debatte von vornherein als sakrosankt deklarierte Großschreibung der Substantive, vermehrt um Fälle, bei denen Komponenten von Adverbien von den »Reformern« als Substantive angesehen werden (zum Beispiel hier zu Lande statt hierzulande), oder solche Albernheiten wie die Ersetzung von ß durch ss nach kurzen Vokalen oder die Zulassung von drei gleichen Buchstaben in Zusammensetzungen (Schifffahrt). Als umstritten gilt hingegen insbesondere die Getrenntschreibung sogenannter »zusammengesetzter Verben«, deren »Erstglied« aus dem Infinitiv eines anderen Verbs (kennen lernen, sitzen bleiben) beziehungsweise aus der Verbindung des Pronomens einander mit einer Präposition (auseinander setzen). Hier bestehe noch Klärungsbedarf.
Auf ein solches Vorgehen hätte sich der tatsächlich zum Ratsvorsitzenden avancierte Exminister Zehetmair mit den Kultusministern geeinigt. Den »Heiligen Vater« scheint der fromme Katholik diesmal aus dem Spiel zu lassen. Das kann sich aber noch ändern, zumal Landsmann Ratzinger gerade zu Benedikt XVI. erhöht wurde.
Ein impliziter Zusammenhang besteht jedoch auch diesmal. So wie der Papst 1997 herhalten mußte, um eine unsinnige Großschreibung zu begründen, ist es diesmal eine Zusammenschreibung, die einen Bedeutungsunterschied signalisieren soll. Die zwei Wörter auseinander und setzen beispielsweise werden getrennt geschrieben, wenn sie ›getrennt setzen‹ bedeuten. In der Wendung sich (mit etwas/mit jemandem) auseinander setzen nehmen sie die übertragene Bedeutung ›(etwas/jemanden) kritisieren‹ an. Daß es dennoch zwei Wörter bleiben, beweist die bei einem Wort nicht nur nach den Regeln der deutschen Grammatik unzulässige »Zerreißung« durch andere Wörter. Das aber ist der Fall, wenn das Verb vor auseinander steht, zum Beispiel in einem Satz wie Damit setzt sich noch immer kein Mensch ernsthaft auseinander.
Die traditionelle Zusammenschreibung solcher Verbindungen, wenn das Verb die zweite Stelle besetzt, ist ein durch nichts begründbares Abweichen von der größten Errungenschaft in der schriftlichen Fixierung menschlicher Sprache, den Prinzipien der Buchstabenschrift. Daß derartige Zugeständnisse an eine Bilderschrift wenigstens in dieser Halbherzigkeit aufgehoben werden sollten, ist ausnahmsweise der Ansatz einer echten Reform. Und ausgerechnet der soll zurückgenommen werden.
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