15. Jahrgang | Nummer 8 | 16. April 2012

Zellteilung

von Angelika Leitzke

Das Ei des Columbus ist nun einmal gelegt worden, doch die einfachste Lösung zu einem schier unlösbarem Problem bleibt nicht immer gleich in Sicht. Bekanntlich ist die menschliche Eizelle die weibliche Keimzelle zweigeschlechtlicher Lebewesen; ihr entsprießen im wundersamen Höchstfall Leipziger Vierlinge, dagegen kann die Krebszelle bösartig wuchern, ganz zu schweigen von der Terrorzelle, die, ob in Zwickau, Hamburg oder am Hindukusch angesiedelt, seit Nine Eleven mehr als zwei Köpfe tragen kann, die noch dazu die unterschiedlichsten Gesichter zeigen.
Scheint der Begriff der Terrorzelle erst seit jenem unrühmlichen Datum des 9. Septembers ’11 in aller und besonders politischem oder journalistischem Munde zu sein, so werden und wurden bislang als bösartige Zellen, unter welchen die Terrorzelle wohl einhellig einzuordnen ist, aber nicht nur lokale Anhäufungen rechts-, links- oder sonstiger polit-extremistischer Gewalt definiert, sondern auch die Familie als Mikro-Keimzelle gesellschaftlichen Lebens, in der Kinder und Ehegattinnen zu Tode geprügelt werden, asoziale Beschäftigungsstrukturen als zelluläre Urheber von Dauerstress, Depression und Lohndumping, Haft-Räume, die sich in Beobachtungszellen, Stahl- oder Arrestzellen untergliedern können, wahrscheinlich aber besser gegen Regen geschützt sind als die vor Nässe triefende Dichterzelle von Spitzwegs „Armen Poeten“, der sich im Bett unter dem aufgespannten Schirm auf weniger als acht Quadratmeter verkriechen muss, um seine kleine grauen Zellen in Schwung zu halten. Bösartig abzuqualifizieren sind natürlich auch absterbende Nervenzellen in der substantia nigra, die zum Parkinsonschen Muskelzittern führen können, es dem Betroffenenen ebenso wie extrazelluläre Ablagerungen im Hirn des Alzheimer-Patienten aber vermutlich schwer machen, aktiv zu einer Terrorzelle zu mutieren.
Gutartig zellulös zu definieren wäre hingegen die Behausung des beschaulich in seiner Zelle meditierenden Mönchen: zu einem ihrer bekannten avancierte der Florentiner Dominikanerbruder Fra Angelico als malender Renaissancekünstler, während der gleichfalls sich malerisch betätigende Wolfgang Beltracchi die Freiburger Villa mit einer Gefängniszelle vertauschen musste, weil er unfreiwilligerweise ein Kölner Auktionshaus des miesen Geschäftsgebarens entlarvt hatte. Gutartig zellulös zu definieren wäre ferner die niedersächsische Kreisstadt Celle, nicht nur wegen ihrer pittoresker Altstadt, sondern auch wegen ihrer SPD-geführten Regierung, die allerdings auch in Zwickau existiert und trotzdem nicht die Entstehung von Terrorzellen verhindert hat, während dem österreichischen Zell am See ohnehin noch der dunkle Schatten der Nazi-Vergangenheit anhaftet, was es verdächtig macht, sich irgendwann in eine Terrorzelle zu verwandeln.
Die Zelle, abgeleitet vom lateinischen Cella, bedeutet eigentlich eine Kammer, in der man etwas verbergen kann, spezieller: einen Vorratsraum für Lebensmittel. Heute heißt das 400-Liter-Kühlschrank oder Weinkeller für Edel-Bordeaux & Co., in Berliner Altbauwohnungen auch Speisekammer, in der notfalls auch terroristisches Waffen- und Gedankengut gelagert werden kann. Zwickau ist also überall, ebenso die Terrorzelle, zu der sich auch ein Appartement des von Depressionen und Selbstzweifeln geplagten neuzeitlichen Menschen entwickeln kann, dies schon nicht erst seit Blaise Pascal und erst recht nicht seit nine eleven.
Der französische Denker, der in diesem Jahr seinen 350. Todestag feiern würde, war ja bereits der Ansicht, dass alles Unglück dieser Welt nur daher komme, weil der Mensch nicht alleine in seiner Zelle sitzen und nichts tun könne. Damit lieferte er praktisch eine Begründung, warum Terrorzellen à la Al Quaida & Zwickau entstehen können. Und gab auch zugleich den Rat, wie dem beizukommen wäre. Bloß hat bis heute niemand auf ihn gehört.