von Julia Michelis
Spätestens seit Phyllida Lloydts Film „Die eiserne Lady“ weiß die Welt, was für eine großartige Frau Margaret Thatcher war. Wirklich? War sie das? Oder haben wir nur eine erstklassige Schauspielerin in einem klug gemachten Film gesehen?
Dieser Film verlangt vom ersten Moment an unsere Anteilnahme für Margaret Thatcher. Wir erleben sie als alte, demente Frau, die tapfer versucht, trotz Bevormundung durch Familie und Pflegekräfte selbstbestimmt zu leben. Nach jeder Niederlage holt sie sich neue Kraft aus ihren Erinnerungen. Auch diese Berichte erleben wir voll Anteilnahme: Wir bewundern den Mut, die Charakterstärke der blutjungen Maggie im Krieg. Wir freuen uns, dass die Tochter aus dem Krämerladen das Examen in Oxford besteht und sind mit ihr, wenn sie Schritt für Schritt mit großer Zähigkeit, starken Nerven und enormem Durchsetzungsvermögen ihren Weg nach oben macht. Wir bewundern auch, wie sie die (berechtigte) Kritik der Labour-Abgeordneten abschmettert und wie sie dem amerikanischen Botschafter, der im Falklandkrieg vermitteln will, eine Abfuhr erteilt. Der Krieg um eine lächerlich kleine Insel, tausende Kilometer von Großbritannien entfernt, findet statt. Thatcher, die Entschlossene, die Kämpferische, setzt sich gegen eine Phalanx von Männern durch und demonstriert der Welt Stärke. Sie rettet die Ehre des Landes und wird für den Sieg bejubelt. Da können, da wollen wir als Publikum mit unserer Begeisterung auch nicht zurückstehen.
Allerdings hat ein Krieg auch Kollateralschäden, wir sehen reihenweise Tote in einem Massengrab. Aber wir sehen auch eine engagierte Margaret – sie ist doch selbst Mutter – jeder Familie eines Gefallenen einen Kondolenzbrief schreiben. So wird alles wieder gut. Im Verständnis des Filmes. Er ist, wie ich schon schrieb, ein klug gemachter Film. Es werden auch die Schattenseiten dieser Regierung durch Dokumentarfilmszenen belegt: Furchtbare Zusammenstöße zwischen Polizei und Streikenden, tot gerittene Demonstranten, massive Proteste im Unterhaus werden als Gegenpol zu dieser Biographie eingeblendet. Doch nie wird dem Grundtenor der Argumentation Thatchers „Das ist nötig zur Gesundung unseres Landes“ Paroli geboten. Und nie versteigt sich Meryl Streep bei aller Kühle und Entschlossenheit in die zynische Eiseskälte der Eisernen Lady, die niemand vergessen wird, der sie je im Original gehört hat. Immer lässt die Streep noch die Chance für ein Quäntchen Sympathie, selbst wenn sie gegen Ende ihrer Regierung jedes Augenmaß im Umgang mit Mitarbeitern verliert.
Margaret Thatcher hat in Großbritannien jenen Neoliberalismus, unter dem inzwischen ganz Europa ächzt (von der zweiten und dritten Welt zu schweigen) bereits in den 70er Jahren etabliert. (Ich erinnere mich, wie entsetzt ich war, als ich Anfang der 90er Jahre durch die Außenbezirke Londons fuhr und neben den verfallenden Häusern auch ganze Straßenzüge sah, in denen nur gebrauchte Büromöbel verkauft wurden. Für wieviele gescheiterte Biographien standen diese Möbel!) Thatcher hat der Welt gezeigt, wie Frau noch härter, noch brutaler als alle Männer Politik machen kann. Und das soll ich gut finden, vielleicht sogar erstrebens- und nachahmenswert? Auf diese Verantwortungslosigkeit ihrem Volk gegenüber soll ich stolz sein, weil es eine weibliche Leistung ist? Ist es jetzt das Ideal weiblicher Emanzipation, die Männer in all dem zu übertrumpfen, was jahrtausendelang zu Gewalt, Zerstörung und Tod geführt hat? Wenn ja, dann ist dieser Feminismus verdammt auf den Hund gekommen.
P.S. Das „nur eine erstklassige Schauspielerin“ am Anfang des Artikels mögen mir Meryl Streep und die Kunstgemeinde verzeihen, ich liebe gutes Schauspiel sehr. Aber wenn damit Geschichte manipuliert wird, habe ich selbst mit gutem Schauspiel ein Problem.
Schlagwörter: "Die eiserne Lady", Falklandkrieg, Julia Michelis, Margaret Thatcher, Meryl Streep, Neoliberalismus