von Eckhard Mieder
Wieder hat sich eine Blase gebildet. Nicht nur eine, diesmal sind es gleich mehrere, und es sind Preisblasen. Die hätten sich zweieinhalb Jahre nach der Lehman-Pleite aufgepustet, weil billiges Geld in den Markt gepumpt worden sei. Dieses Geld fließe zum Großteil direkt weiter an die internationalen Börsen, wo sich deshalb besagte Preisblasen bilden. Vor allem an den Rohstoffmärkten, vertickert mir die Debattiermaschine. Und ich stelle mir vor, wie die Blasen groß und größer werden und als riesige Ballons um den Erdball schweben. Ahoi! möchte ich ihnen zurufen. Bon voyage! Und in Deckung gehen möchte ich auch. Weiß ich, was den Blasen entfährt, wenn sie platzen?
Leider verstehe ich zu wenig vom Geld und von der Geldpolitik, letztlich zu wenig vom Kapitalismus. Ein ausgepichter Ökonom oder BWLer oder Banker versteht die Sprache der Wirtschaft vermutlich. Ich sage vermutlich, weil ich mir in Ansicht der letzten Jahre und der vergurkten Hin- und Herkredite, der mal unterlassenen, dann wieder zugelassenen Bonus-Zahlungen an Manager sowie der ungeheuren Milliardenbeträge, die ich als Steuerzahler aufgebracht habe (horrido; mein Konto schwächelt) –, also ich sage vermutlich, weil ich mir über den Sachverstand von Ökonomen, BWLer oder Bankern durchaus nicht im Klaren bin. Warum sollen die davon mehr haben als Kranführer auf der Baustelle, Journalisten im Stilistischen oder Altenpfleger am Leib der ihnen Anvertrauten? Gibt doch immer die guten und die schlechten, glaube ich, immer die Könner und die Tröten.
Mich beschäftigt das Aufgeblasene. Mich interessiert, aus welchen Steinen die Wolkenkuckucksheime gebaut werden. Mir ist aufgefallen, dass in den letzten Jahren enorm viele Blasen entstanden sind. Sie bauten sich vorm Horizont der Zukunft auf. Aus ihnen regnete es bedrohliche Fakten. Sie zerplatzten, nur, um sich wieder zu bilden. Wie Wetter.
So gab es mal eine Eisenbahn-Euphorie in Amerika, die für übertriebene Gewinnhoffnungen sorgte. Wenn die Blase platzte, erläuterte der Ökonom Eugen Fama in einem Interview mit dem New Yorker (Januar 2010), stockte der Netzausbau kurzzeitig, was zu heftigen Wirtschaftskrisen führte. Das muss damals gewesen sein, als die Indianer und ihre Büffel gemeuchelt wurden und die Chinesen die Schienen quer durch die USA legten.
Später dann, muss Anfang des 21. Jahrhunderts gewesen sein, gab es eine Jugendblase. Die habe sich in den arabischen Staaten gebildet, deren Bevölkerung zu einem Großteil aus Menschen bestehe, die noch keine 30 sind. Man stelle sich diese Blase vor, in der Millionen Menschen hausen und die auf ihrem Luftweg mit den Kredit- und Finanzblasen zusammenstößt, die sich infolge monetärer Wetter bildeten und hübsch-eruptive Explosionen in Tateinheit mit Abregnungen erzeugten. Mich beträfe es nicht so sehr, ich habe nicht in Blasen investiert und halte mich auch sonst kontinent-aufrecht.
Immerhin gibt es Leute, die klar bleiben. Alan Greenspan, von dem ich natürlich auch nicht weiß, ob er ein aufgeblasener Wicht oder ein Kenner ist, entgegnete auf die Frage, ob nicht seine damaligen Zinssenkungen für die Immobilien-Blase verantwortlich gemacht werden müssten: „Ich weiß nicht mal, was eine Blase sein soll. Diese Wörter sind populär geworden. Ich glaube nicht, dass sie eine Bedeutung haben“.
Das Schöne an den Blasen ist, dass sie nicht nur in der Wirtschaft oder in der Finanzwirtschaft ihr zauberisches Wesen treiben. Auch in der Kultur gibt es sie, wobei das nicht so verwunderlich ist: Wo, wenn nicht in der Kultur, werden Blasen erzeugt; und sie richten dort, vermute ich, zwar geistigen Schaden an. Aber wer vermag zwischen Nutzen und Unnützem zu unterscheiden? Und es reißt, wieder vermute ich, niemanden in den Ruin, wenn da die eine oder andere Bedeutungsblase angestochen wird und warme Luft lässt.
Etwa las ich Anfang des Jahres 2011 in der Rezension einer Biographie über Peter Sloterdijk: „Er erzeugt Blasen, die für einen Augenblick einen ganzen Kosmos darzustellen scheinen, und dann wieder zerplatzen. Auf diese Weise gibt er unablässig neuen Gebilden und Gestalten Raum.“ So was zu können, ist meines Erachtens großartig. Zudem erinnert es mich an die Badewannen meiner Kindheit. Niemals zuvor und niemals danach war ich schöpferischer als im Umgang mit dem Seifenschaum, der vor meiner Brust schwamm wie Gebilde und Gestalten aus Märchenwelt, DEFA-Kinderfilm, Pionier-Ehrenwörtern, Expeditionen in das Land Ophir … Wäre ich ein Philosoph gewesen, hätte ich früh schon über das Werden und Vergehen von Gebilden und Gestalten in Raum und Zeit nachgedacht. Mithin über sehr Eigenes. Aber mit acht, neun, zehn war ich ein Piepel, der nicht ein noch aus wusste und noch dazu nur Götter hatte, die auf Tribünen standen und nicht im Himmel zechten.
Aber ich hatte eine Blase. Die habe ich immer noch. Meine solidarische Aufmerksamkeit gehört mittlerweile dem grauhaarigen, sportiven Manne im Schlafanzug, der vor der ARD-Tagesschau zu Prostagutt greift, um weniger müssen müssen. Ich sinne als ein Sloterdijk der Blasen jener Zeitspanne nach, die sich zwischen einstiger Badewanne und heutigem Geblase spannt. Weniger müssen müssen würde ich gern den Schaumschlägern und Luftbläsern ins Poesie-Album schreiben. Oder haben die Aufschäumer Recht und es gibt ihn, den, ich nenne ihn mal so: Kapitalismus, tatsächlich nur als eingebildeten Harndrang, als Blase und als Schaumgebilde?
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