von Matthias Monroy
Seit 1998 errichtet die Europäische Union ein Aufklärungssystem, das auf Satelliten basiert. Die unter dem Namen Global Monitoring of Environment and Security (GMES) firmierende Plattform entsteht parallel zum Satellitenpositionierungsdienst Galileo und soll die bereits existierende Satellitenaufklärung einiger Mitgliedsstaaten um ein eigenes EU-System ergänzen beziehungsweise beträchtlich erweitern. Das System soll einer „Bekämpfung von Terrorismus und Klimawandel“ dienen, aber auch die „Konjunkturbelebung“ befördern. EU-Veröffentlichungen stellen gern den Nutzen für die Messung von Umweltveränderungen in den Mittelpunkt, während der Sicherheitsaspekt unter den Tisch gekehrt wird.
GMES vereint neben Satelliten auch boden- und seegestützte Radarstationen sowie Aufklärung mittels Flugzeugen und Drohnen. Die bereits vorhandenen Aufklärungskapazitäten Italiens, Deutschlands, Spaniens oder Frankreichs werden ebenso wie der Navigationsdienst Galileo integriert. Auch Bilder von kommerziellen Satelliten oder durch Google bereitgestellte Geodaten werden genutzt. Bereits an der Entwicklung sind sowohl Behörden und Unternehmen, überwiegend aus der Rüstung, als auch das Militär und zivile Forschungseinrichtungen beteiligt.
Wichtigster öffentlicher Akteur innerhalb von GMES ist hierzulande das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Das DLR agiert im Auftrag der Bundesregierung und betreibt zur Auswertung der Satellitenaufklärung das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) im bayerischen Oberpfaffenhofen (Datenempfang, Kartierungen) und in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern (Datenempfang und Schwerpunkt maritime Aufklärung). Ebenfalls zum DLR gehört das Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI).
Die Behörden der EU-Mitgliedstaaten sind jetzt angewiesen, den „nationalen Bedarf“ an GMES-Diensten zu ermitteln und zu koordinieren. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) steuert beispielsweise den GMES Notfall-Dienst und gilt als Kontaktstelle für einzelne Projekte („National User Focal Point“). Laut dessen Vizepräsident gehört auch das Bundesamt für Verfassungsschutz zu den Nutzern, „die sich aus dem Portfolio der Möglichkeiten der angebotenen Dienste das für sie Passende aussuchen“.
Zwar wird GMES gern als ziviles Projekt zur umwelt- oder sicherheitspolitischen Aufklärung beworben. Jedoch fanden spätestens im März 2007 vom Europäischen Rat initiierte Diskussionen über die Integration von GMES-Diensten in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) statt. Der Leiter des GMES-Weltraum-Büros bei der Europäischen Raumfahrtagentur sowie der Koordinator für GMES-Politik im gleichen Büro berichteten hierzu von „wesentlichen Schlussfolgerungen“. Demnach sollen „militärische Nutzer von GMES“ die gleichen Rechte wie zivile Anwender innehaben. Für die „militärische Nutzerfamilie“ soll dennoch eine „angepasste GMES-Datenpolitik“ entworfen werden.
Bilddaten aus dem All werden unter anderem vom EU-Satellitenzentrum (EUSC) im spanischen Torrejón ausgewertet, das seit 2002 als EU-Agentur operiert und der nach dem Lissabon-Vertrag installierten „Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ untersteht. Vom EUSC aufbereitete Informationen werden an den Europäischen Rat, den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), das Geheimdienstzentrum SitCen und die EU-Mitgliedstaaten geliefert. Auch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die OSZE oder die NATO können ihre Missionen auf GMES-Produkte stützen, sofern dies im Interesse der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) liegt.
Deutscher „Ansprechpartner“ und Mitglied im Verwaltungsrat des EUSC ist das Auswärtige Amt, das „Produkte“ von dort erhält und an andere Nutzer in Deutschland weiterleitet. Auch die Bundeswehr ist beteiligt, sie stellt „auf Anforderung Personal für die Satellitenbildauswertung an das EUSC ab“. Hierfür nimmt sie regelmäßig an Ausbildungen teil.
Bilder des EUSC wurden auch für den NATO-Krieg in Libyen genutzt. Dies bestätigte die Bundesregierung und führte aus, dass „eine förmliche Anfrage der NATO um Unterstützung durch das EUSC mit Bildanalysen zu Libyen“ dem EAD im April 2011 zugeleitet worden sei. Die EU-Mitgliedstaaten wären dann vom EAD gebeten worden, „der NATO-Anfrage zu entsprechen“. Das EUSC selbst hat „sämtliche bereits erstellten Produkte des EUSC zu Libyen“ der NATO überlassen. „Mithilfe verfügbarer Produkte des EU-Satellitenzentrums unterstützt die EU die NATO-Operation ‘Unified Protector’ ferner durch weltraumgestützte geografische Daten“, erklärte die EU-Kommission gleichlautend auf eine Anfrage im EU-Parlament.
Die hier angesprochenen Bilddaten scheinen sich vorwiegend auf militärische Satelliten zu beziehen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hatte die Bundesregierung noch im März behauptet, dass GMES-Daten „wegen ihrer derzeitigen technischen Parameter (insbesondere geringe geometrische Auflösung) für militärische bzw. nachrichtendienstliche Aufklärung nicht geeignet“ seien. Das stimmte offensichtlich schon im Frühjahr nicht – denn GMES-Bilder flossen in die Durchführung des NATO-Krieges in Libyen ein, für den Italien wichtige Aufklärungsfunktionen übernahm.
Die für den Krieg in Libyen genutzten Daten wurden vom deutschen ZKI ausgewertet, dem womöglich die Aufarbeitung von Bildern der GMES-Radarsatelliten obliegt, die für das menschliche Auge zunächst nicht interpretierbar sind. Bereits am 24. Februar 2011, also wenige Tage nach Beginn der Aufstände, meldete das ZKI die Überlassung von „EU Referenzkarten von Libyen und Nachbarländern“ an SAFER, darunter auch zu Tunesien und Malta. Die Bundesregierung bagatellisierte den deutschen Beitrag zur Satellitenaufklärung mit dem Hinweis, dass die satellitengestützten Kartierungen für die Gebiete Tubruq, Derna (Libyen) und Ost-Malta sowie Salum (Ägypten) öffentlich im Internet verfügbar seien. Fraglich ist jedoch, ob nicht auch Bilder in weit höherer Auflösung zur Verfügung gestellt wurden, denn: „Die bislang bekannten Leistungsparameter von GMES-Sensoren lassen die Eignung für eine grundsätzliche Feststellung von Beschädigungen erwarten“, wie die Bundesregierung in der Antwort auf die erwähnte (Frage der Redaktion: Oder gab es eine weitere – neben der oben erwähnten der LINKEN?) Kleine Anfrage zu. Hinsichtlich eines anderen Anbieters (Digital Globe) sei bekannt, „dass Satellitenbildmaterial existiert, das die Ergebnisse von Kampfhandlungen und Luftangriffen aufzeigt“.
Fakt ist, dass der Bundesregierung ebenso wie der EU bereits drei Wochen vor der Resolution 1973, durch die der UN-Sicherheitsrat die NATO zur Intervention ermächtigte, Bilder libyscher Städte und Grenzregionen zur Verfügung standen. Die zu dieser Zeit bereits eingeleiteten humanitären Maßnahmen der EU gingen – wie eine weiterer Kleine Anfrage der Linksfraktion offenbarte – unmittelbar in die diplomatische, polizeiliche und grenzpolizeiliche Unterstützung des Nationalen Übergangsrates während des Krieges in Libyen über und waren weder personell noch inhaltlich von der Bekämpfung illegaler Migration zu trennen. Auch eine Weiterleitung von Aufklärungsdaten der angeblich humanitären EU-Missionen und -Einsatzteams an die Planungsstäbe der ab dem 1. April 2011 in Vorbereitung befindlichen EU-Militärmission EUFOR Libya konnte oder wollte die Bundesregierung nicht ausschließen. Offensichtlich wird also nicht nur in Planung und Konzeption, sondern auch in der Anwendung nicht klar zwischen der Fernaufklärung zu humanitären Zwecken und der militärischen Aufklärung unterschieden.
Für den Krieg in Libyen nutzten Militärs Daten eines als „zivil“ beworbenen EU-Programms zur Satellitenaufklärung. Deutschland mischt im Geschäft mit Bildern aus dem Weltraum kräftig mit.
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