von Hermann-Peter Eberlein
Eine Provokation nennt Matthias Matussek sein Plädoyer für den Katholizismus – wenn es doch eine wäre! Wider den gottlosen, den platten, formlosen, den kommerziellen Zeitgeist will er anschreiben, ein Lebensthema einkreisen, ein Bekenntnis ablegen. Herausgekommen ist ein Produkt just diesen Zeitgeistes: ein plattes, formloses Elaborat voller Peinlichkeiten, Dokument einer Regression, einzig darauf ausgelegt, als Bestseller Geld einzufahren.
Matussek mischt locker essayistische Abschnitte und Polemiken mit Interviews; darum lässt sich weder eine Argumentation nachzeichnen, noch der Inhalt auf den Punkt bringen. Als verbindendes Stichwort dient das Spiel. Am Anfang steht unter der Überschrift Training mit dem Teufel eine Betrachtung der Gegenwartslage unter dem Focus der sieben Todsünden – gut beobachtet, aber weder neu noch wegweisend. Dann ein biographischer Teil voller peinlicher Entblößungen oder schnoddriger Plattitüden: „Zum Katholischsein gehört außer der Zustimmung zum Credo (und ein bisschen Bekenntnismut für den Fall, dass man beim SPIEGEL arbeitet) nicht viel: Morgens und abends beten und bei Tisch, sonntags in die Messe, einmal im Jahr zur Beichte. Das kann doch nicht so schwer sein, Leute!“ Die hier so beiläufig genannte Zustimmung zum Credo hat immerhin sechzig Generationen von Theologen intellektuelle Höchstleistungen oder auch Verrenkungen abverlangt.
Immerhin geht es danach um Gott: seine Fehlen in unserer Gesellschaft, seine Denk- oder Lebens-Notwendigkeit. Das alles auf Talkshow-Niveau – wohltuend heben sich Martin Walser und Rüdiger Safranski als Interviewpartner vom Autor ab. Schließlich das hohe Lob des Andersseins der vorkonziliaren Kirche: Katholizismus als alternative Lebensform, gerade richtig als neues Produkt im Angebot für einen, der vor vierzig Jahren Marxist war und dem Katholischsein bedeutet, ein spannendes Verhältnis zur Welt zu haben. Nein, es bedeutet mehr, viel mehr!
Natürlich sind viele Beobachtungen Matusseks richtig. Natürlich kann man es sich mit dem Gottesbegriff nicht so leicht machen, wie ein vulgärer Atheismus das tut. Natürlich zerstören manche Volksaltäre, nach der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums unter Kuppeln oder Vierungstürmen aufgestellt, die Ästhetik einer Kirche. Natürlich fehlt dem Protestantismus Sinnlichkeit. Natürlich betet unsere Gesellschaft den Götzen Geld an. Das alles leiern Kulturpessimisten täglich landauf, landab herunter.
Matussek hätte die Entsagung, die er am katholischen Klerus so vorbildhaft findet, in seinem, dem schriftstellerischen Metier, üben können. Stattdessen tändelt er argumentativ zwischen Maischberger und Harald Schmidt, Stern-Titel und Sarrazin hin und her. Wie man ernsthaft und entsagungsvoll mit Religion und Kirche umgehen kann, hat etwa Karlheinz Deschner gezeigt: Der hat sein halbes Leben auf seine vielbändige, leider viel zu wenig beachtete Kriminalgeschichte des Christentums gewendet. Hätte Matussek seine restliche Lebenszeit zum Gegenentwurf genutzt, die Wohltaten der katholischen Kirche historisch, die Schönheit ihrer Liturgie und Theologie phänomenologisch, den Sinn ihrer monarchischen Struktur juristisch untersucht und dargestellt – ich hätte Respekt. Doch dazu ist er entweder unwillig, zu faul oder zu dumm.
Er kennt sich noch nicht einmal in der Sprache seiner Kirche aus: Das Wort Ordinierung gibt es nicht, die Priesterweihe heißt immer noch Ordination. Wenn man es schon nicht weiß, sollte man mindestens im Duden nachschlagen. Die katholische Kirche nennt der Autor schnoddrig einen Verein. Weiß er, in welches theologische Wespennest er damit greift? Der Vereinsbegriff ist ein typisch neuzeitlicher, setzt er doch vor der Vereinigung das autonome Individuum voraus, das mit anderen einen Verein bilden will. Das gibt es in der protestantischen Theologie bei Schleiermacher und in Freikirchen; dem Selbstbewusstsein der katholischen Kirche wie auch des klassischen Luthertums widerspricht der Vereinsgedanke fundamental. Hier denkt man mit Paulus korporativ oder organisch (Kirche als Leib Christi).
Der Beispiele wären viele. Wirklich auf den Katholizismus und sein Selbstverständnis lässt sich Matussek gar nicht ein. Er kritisiert die Oberflächlichkeit und bleibt selbst oberflächlich. Die augustinische Sünden- und Prädestinationslehre hat er nicht verstanden; sie als Schreckenstheologie mit lockerem Gestus abzutun, zeigt, wie sehr er der Banalität des von ihm so kritisierten Zeitgeistes verhaftet ist.
Kurz: Eine Provokation wider den Zeitgeist der flachen Sprüche hätte Esprit verlangt, gepaart mit Präzision des Denkens und einer gehörigen Portion Sachverstand. Eine Provokation wider den Zeitgeist der Formlosigkeit hätte eine Form erfordert, sei sie streng, sei sie essayistisch (einen gehaltvollen Essay zu schreiben, ist eine hohe Kunst!). Eine Provokation wider den Zeitgeist der Kurzatmigkeit hätte erfordert, sich auf wirkliche, mühsame, lange, kontroverse Argumentationen einzulassen. Alles das hat Matussek versäumt. Herausgekommen ist ein dümmliches Buch, sein Geld und die Zeit nicht wert, es zu lesen.
Matthias Matussek: Das katholische Abenteuer. Eine Provokation, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011, 368 Seiten, Euro 19,99
Schlagwörter: Deutsche Verlags-Anstalt, Hermann-Peter Eberlein, Katholizismus, Matthias Matussek