von Gabriele Muthesius
Als wir uns vor einigen Jahren mit dem Gedanken trugen, eine touristische Bootsexpedition an den mittleren Amazonas zu unternehmen, lernten wir unter anderem, dass man dorthin nur während der Regenzeit reist. Die Pegelstände des dann herrschenden Hochwassers und damit auch die Breite der Flüsse gehen nämlich in der Trockenzeit soweit zurück, dass ein direkter Blick in den Regenwald vom Wasser aus wegen zu großer Distanz nur noch wenige Eindrücke vermittelt. Und schon gar nicht kann man dann große Teile des überschwemmten Waldes direkt mit dem Kanu befahren.
Als wir im Mai 2009 in Manaus ankamen, stand der Rio Negro – zweitgrößter Nebenarm des Amazonas, den wir zu befahren gedachten und der normalerweise um die 18 Meter Wasser führt – bei über 29 Metern, kurz vor einer neuen Höchstmarke, die er wenig später erreichte. Die Touren durch das riesige Überschwemmungsgebiet, wo auch „Hühner“ wie die Hoatzins auf Bäumen leben und selbst Amphibien wie Frösche und Schlangen dort einen großen Teil des Tages verbringen, gehören zu unseren eindrucksvollsten Reiseerlebnissen überhaupt.
Allerdings lernten wir auch eine (touristische) Kehrseite der Wasserübermassen kennen: Kein Säugetier muss während der Regenzeit zum Trinken das schützende Dickicht verlassen. Daher sahen und vor allem hörten wir zwar verschiedene Affenarten (Brüllaffen tragen ihren Namen völlig zu Recht!), und gelegentlich zeigte sich auch das eine oder andere Faultier, aber von Wasserschwein, Tapir oder gar Jaguar bekamen wir nichts zu Gesicht.
Das haben wir kürzlich nachgeholt – in einem alten Gasometer in Leipzig, wo der aus dem Iran stammende Architekt und Maler Yadegar Asisi auf dem weltweit größten 360-Grad-Panorama ein Stück Regenwald Amazoniens ins monumentale Bild gesetzt hat, dass es einem den Atem verschlägt – im Maßstab 1 : 1, auf einer Leinwand von 130 Metern Länge und 30 Metern Höhe, auf der im Wasser, im Wald und in der Luft viele Arten vertreten sind, die in dieser faszinierenden Natur leben. In diesem Panometer, wie Asisi seine Präsentationsform in Kombination der Begriffe Panorama und Gasometer nennt, trafen wir alte Bekannte wieder wie die Victoria amazonica, die größte Seerose der Welt, die ihre Blätter von bis zu einem Meter Durchmesser an der Unterseite durch kräftige Stacheln gegen Fischbefraß schützt, oder die blauen und roten Aras, deren Lärm man, wenn sie in Gruppen auftreten, über dem Fluss schon längst gehört hat, bevor sie am Himmel tatsächlich auftauchen, und nicht zu vergessen – die imposanten Tukane. Darüber hinaus entdeckten wir, was uns am Rio Negro verborgen geblieben war: Jaguar, Wasserschwein und Tapir, dazu Nasenbär, Gürteltier und Harpyie, den größten Adler des amazonischen Luftraumes.
Gut beraten waren wir, uns vor dem Trip nach Leipzig unserer live Erfahrungen zu erinnern und ein Fernglas mitzuführen. Denn Kolibri, Vogelspinne und Herkuleskäfer wären mit bloßem Auge auf diesem Panorama nicht zu erkennen gewesen. Selbst mit Glas wäre das in einer Umwelt, wo die meisten Lebewesen Tarnung groß schreiben, höchst schwierig. Da aber war der Katalog hilfreich, der unter anderem die Standorte von 50 besonders interessanten Details auf dem Riesenbild gut nachvollziehbar darstellt.
Übrigens weisen das Panometer in Leipzig und der Rio Negro mindestens eine Gemeinsamkeit auf – keine Moskitos. Während man die an der Pleiße natürlich auch (noch?) nicht erwarten würde, hat es mit dem Amazonas-Nebenfluss eine spezielle Bewandtnis. Sein Wasser ist mit einem ph-Wert von 3,5 zu sauer für die Eiablage von Moskitos. Daher gibt es keine, und wir konnten in Hängematten im Regenwald ohne Sprays und Netz übernachten. Ein Verzicht auf eine „Überdachung“ mittels einer strapazierfähigen Regenplane wäre allerdings nicht zu empfehlen gewesen. Denn was bei uns Starkregen heißt und eher selten vorkommt, dass wird dort in der Hauptregenzeit zwischen März und September nicht nur locker übertroffen, sondern gehört zur täglichen Routine, gern auch nachts.
AMAZONIEN – Yadegar Asisis Zauberbild der Natur, asisi Panometer Leipzig, Richard-Lehmann-Straße 114, 04275 Leipzig. Nur noch bis 08.01.2012, Dienstag – Freitag 10 – 17 Uhr; Samstag, Sonntag, Feiertage 10 – 18 Uhr, Montag geschlossen, Eintritt: 10,- Euro.
Ferngläser können für 2,- Euro ausgeliehen werden. Katalog 10,- Euro.
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