von Wolfgang Dahle
Im Jahre 1999 wurde in Frankfurt/Main ein 75-jähriges Verlagsjubiläum begangen, das der „Büchergilde Gutenberg“ galt, die in der Buchstadt Leipzig gegründet worden war. Aus diesem Anlass brachte der Verlag für seine Leser einen Klassiker aus den Anfangsjahren, Travens „Totenschiff“, in einer neuen, illustrierten Ausgabe heraus. Im August 1924 war es Bruno Dreßler vom „Bildungsverband der deutschen Buchdrucker“ gewesen, der durch preiswerte Bücher den unteren Schichten den Zugang zu zeitgenössischer Literatur ermöglichen wollte. Bis heute hat der Verlag, der durch die Zeitumstände mehrmals seinen Erscheinungsort wechseln musste, seine Tradition bewahren können, auch wenn er nicht immer die erste Garde der Schriftsteller in seinem Programm präsentierte. 1998 wurde der Verlag jedoch aus der Gewerkschaftsholding BGAG herausgelöst, privatisiert und an fünf frühere Mitarbeiter verkauft. Viele Partnerbuchhandlungen befinden sich aber auch heute noch in deutschen Gewerkschaftshäusern, wie in Berlin.
„Bücher geben, die Freude machen. Bücher voll guten Geistes und von schöner Gestalt“, hieß es im Geleitwort einer der ersten Ausgaben. Konzentrieren wollte man sich auf das schöngeistige Buch, aber auch populärwissenschaftliche Werke wollte das Unternehmen in sein Programm aufnehmen, wie Schriftleiter Ernst Preczang ankündigte. Ein Beispiel für die letztere Form war der im Jahre 1931 unter dem neuen Lektor Erich Knauf erschienene dokumentarische Band „Kohlenpott“, ein Buch von der Ruhr von Georg Schwarz, in dem dieser die Praktiken der deutschen Konzerne und Syndikate im Ruhrgebiet anprangerte und die Lebensverhältnisse der Industriearbeiter schilderte.
Der Verlag konnte ein Jahr nach seiner Gründung in seinem Mitteilungsblatt „Die Büchergilde“ bereits auf etwa 5.000 Mitglieder verweisen. Das Geld für die Aufnahme und die monatlichen Beiträge berechtigten die Mitglieder, vierteljährlich ein Buch zu erwerben und darüber hinaus weitere Titel. Als genossenschaftlicher Grundsatz galt, den üblichen Verlegergewinn auszuschalten, der dann den Mitgliedern in Form einer besseren Ausstattung der Werke zugute kommen sollte, wie es im § 8 der Gründungssatzung hieß.
Im Mitteilungsblatt der Büchergilde wurden Einblicke in die Arbeit von Schriftstellern, Buchdruckern, Buchhändlern und weiteren Fachleuten gewährt sowie Lebensfragen und Fragen der Kunst und Architektur diskutiert. Viele Ausgaben der Büchergilde waren qualitätsvoll gestaltet und konnten jahrelang Auszeichnungen der Stiftung Buchkunst entgegennehmen.
Als erste Veröffentlichung brachte der Verlag Ende 1924 Mark Twains Geschichtenband „Mit heiteren Augen“ heraus und ein Jahr später folgten sechs weitere Titel. Der Erfolg des Unternehmens rief aber auch andere Verbände auf den Plan, die eine aufkommende Konkurrenz fürchteten. Der Börsenverein der Buchhändler als Berufsverband prozessierte 1926 und 1928 erfolglos gegen diese und eine andere Buchgemeinschaft. Nach einem Ortswechsel 1926 bezog die Buchgemeinschaft ihre neuen Räume in Berlin im Buchdrucker-Verbandshaus. Die literarischen Mitarbeiter von Bruno Dreßler waren anfangs Ernst Preczang und Johannes Schönherr, der noch in den 60er Jahren in der DDR im Greifenverlag mitarbeitete.
In den Anfangsjahren waren es bekannte Schriftsteller wie Arnold Zweig, Oskar Maria Graf und ausländische Autoren wie Jack London und Upton Sinclair, die mit ihren Werken von der Büchergilde vorgestellt wurden.
Preczang entdeckte für seinen Verlag und den deutschen Buchmarkt den legendären B. Traven, der ein wichtiges Aushängeschild für die Büchergilde wurde. Er schrieb im Juli 1925 nach Mexiko an „Mister Traven“, dass er in der Zeitung Vorwärts seinen Roman „Die Baumwollpflücker“ gelesen habe, er von der frischen Darstellung beeindruckt war und den Autor in Deutschland gerne bekannt machen möchte. So brachte die Büchergilde Anfang 1926 das erste Buch von Traven unter dem eindrucksvollen Titel „Das Totenschiff“ heraus, in dem der ursprünglich unter dem Namen Richard Maurhut / Ret Marut in Deutschland arbeitende Autor seine Überfahrt nach Amerika als Seemann Pippip auf einem so genannten Seelenverkäufer beschrieb. Damit begann zugleich Travens Erfolgsserie auf dem deutschen Buchmarkt und im gesamten deutschsprachigen Raum. In einem der ersten Briefe teilte er an die Büchergilde mit, dass er in der Nähe von Tampico lebe und dort die Post nur von Zeit zu Zeit in Empfang nehmen könne. Seine Manuskripte und Briefe waren alle mit Schreibmaschine abgefasst, anfangs noch handschriftlich unterzeichnet, später nur noch mit getipptem „B.T.“ oder „T.“. Ein weiterer Erfolg war sein Reisebericht „Land des Frühlings“(Büchergilde 1928), in dem er seine Fahrt von Mai bis Oktober 1926 durch die Provinz Chiapas – gemeinsam mit einem indianischen Burschen – schilderte. Dieser Bericht enthält aber neben sozialen Studien auch einige unwissenschaftliche Betrachtungen. Im umfangreichen Bildteil sind Land und Leute wiedergegeben; der Verfasser Traven taucht jedoch auf keinem der Fotos auf. (Eine bearbeitete, gekürzte Ausgabe des Buches wurde 1950 wiederum von der Büchergilde herausgegeben.) Im Jahre 1933 besetzten die Nazis den Berliner Verlag und gliederten ihn in die Deutsche Arbeitsfront ein. Am 15. Mai 1933 machte sich die Schweizer Büchergilde durch eine Neugründung in Zürich von Deutschland unabhängig und setzte unter der Leitung von Bruno Dreßler (bis 1946) ihre Arbeit fort. Die Schweizer Büchergilde hatte am Kriegsende 110.000 Mitglieder.
Nach 1945 belebte der Sohn des Gründers, Helmut Dreßler, die Büchergilde neu. Bis zu seinem Tode im Dezember 1974 setze er sich für handwerklich gut gemachte illustrierte Bücher ein. Diese Tradition setzt sich bis heute fort.
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