von Thomas Kurt Grieser
Es ist ein kulturübergreifend anzutreffender, verbreiteter Persönlichkeitstypus, auf den sich der tschechische Bildhauer Michal Trpák mit seinen „Rushing People“, respektive „Humanoids“ (2007-2011), die derzeit zum Teil im Prager „Palladium“ zu sehen sind, zu beziehen scheint – der schon von Erich Fromm (1900-1980) diagnostizierte „Marketing-Charakter“, der zwar auf dem Arbeitsmarkt der nachgefragteste Typ ist, dessen Psychogramm jedoch pathologische Züge trägt. Die zu Skulpturen verwandelten Modelle von Trpák dürften als realitätsnahe Abbildungen eines häufig vorkommenden gesellschaftlichen Typus kaum auffallen, wenn der Bildhauer es nicht verstanden hätte, durch den gelungenen Einsatz bildkünstlerischer Mittel das Gewohnte der alltäglichen Wahrnehmung aufzubrechen.
Die dargestellten, mit zwei Metern nur leicht überlebensgroßen hektischen Gestalten sind nicht zufällig aus Beton. Das massive Material trägt als bewusst gewähltes Darstellungsmittel in mehrfacher Hinsicht ästhetische Signifikanz. Die Figuren werden mit einem Material in Verbindung gebracht, das bedeutungsmäßig aufgeladen ist: Beton – Symbol des Fortschritts und der Moderne – neben Glas, Stahl und Kunststoffen das wichtigste Material des industriellen Städtebaus. Zweitens verleiht seine Eigenschaft der Schwere und Härte einer Interpretation Gewicht, die die Figuren gewissermaßen als soziale Lasten und Härtefälle versteht. Hierdurch vollzieht sich eine Umwertung gewohnter Denkmuster: Nicht Angehörige einer nachhaltig deformierten Unterschicht werden als Opfer der Gegenwartsgesellschaft dargestellt, sondern jene scheinbar arrivierten bindungslosen Einzelkämpfer, die sich, wie geworfene Steine, humorlos und unvergnügt alle in ein und dieselbe Richtung bewegen.
Doch der Betrachter fragt sich, wohin zielt dieser kommunikationslose Gleichschritt? Gibt es ein gemeinsam anvisiertes Ziel oder einen gemeinsamen Fluchtpunkt dieser starr und stumm nach vorn eilenden Figuren? Vielleicht eine zu verteidigende Festanstellung, die zur Verfestigung der eigenen Milieuborniertheit und Konkurrenzängste beiträgt? Vielleicht auch eine zu verlassende technokratische Stadt sündiger Entfremdung, die alle Flüchtigen zu Salzsäulen erstarren lässt, die sich nach ihr umdrehen?
Der überbeschäftigte, wirtschaftskompatible, flotte Siegertyp mit Anzug und Aktentasche erscheint in dieser künstlerisch erschaffenen Momentaufnahme plötzlich als Verlierer. Denn der Beton entäußert emotionale Versteinerung – die raue Gefühlskälte der Figuren findet eine ästhetische Entsprechung in den taktilen Eigenschaften des Materials: Sprödheit, Härte, Kühle. Das unflexible Material der Figuren passt nicht zum schnellen und egotaktischen Gleichschritt, der dem Betrachtenden ins Auge springt. Doch auch dieser Gegensatz ist ein stimmiger Vergleich für die Selbstverleugnung im wissenschaftlich analysierten Persönlichkeitsmuster des Marketing-Charakters. Denn die äußerliche Versteinerung und Sprödheit können als ein Gleichnis für die innere Welt der dargestellten Figuren gelesen werden. Der „Marketing-Charakter“ zeichnet sich laut Fromm durch selbstvergessene Anpassung der Persönlichkeitseigenschaften an die Nachfrage des „Persönlichkeitsmarktes“, allgemeine Beziehungs- und Emotionsunfähigkeit, inhumanes Effizienz-Denken und brüchige Identität aus.
Es verwundert daher nicht, dass Trpák seine Figuren nur als menschenähnliche Wesen – „Humanoids“ – tituliert. Die Physiognomie der Skulpturengruppe lässt keinen Zweifel – die darstellten Wesen sind allesamt nicht glücklich. Die sich sonst selbsterfüllende Prophezeiung „Du schaffst es!“ von Mister und Miss Perfect hat sich schließlich – bezüglich des persönlichen Lebensglücks – nicht erfüllt. Der steinige Weg zum Erfolg hat die Protagonisten selbst zu Stein werden lassen. Die Gesichter sind von verräterischen Falten der Unzufriedenheit gezeichnet. Von den Gesichtszügen und dunklen Blicken geht eine eigenartige feste Entschlossenheit aus, so als wollte der Künstler damit andeuten, dass die körperlich-geistige Verkrustung, der geschwinde und durchorganisierte Gleichschritt durch einen seit Jahren gefassten festen Entschluss selbstverschuldet sei. In dieser Hinsicht besteht genau besehen eine Geistesverwandtschaft zwischen den unheilvollen, meist ungebildeten hysterischen Massen der totalitären Systeme des zwanzigsten Jahrhunderts und den hochgebildeten, modekonform gekleideten, sich gravitätisch-flott gerierenden Charakteren der „Rushing People“. Wo sich keine ideologieimmune Identität entwickelt, kann auch kein gesundes, zur Rollendistanz fähiges Selbstbewusstsein existieren. Die sich körperlich eingravierte Corporate Identity des äußerlich sich souverän gebärdenden, innerlich aber ängstlich-überangepassten „Arbeitskraftunternehmers“ (Günter Voß), der in seiner Überanpassung soweit geht, die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatsphäre immer mehr zu verwischen, stellt in dieser Deutung ein bildhauerisch verarbeitetes Symptom eines sozialpsychologischen Befundes dar.
Schlagwörter: Beton, Erich Fromm, Marketing-Charakter, Michal Trpák, Thomas Kurt Grieser