von Jürgen Fenn
Das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst hat viel zu bieten. Im zweiten Stock fällt der Blick zunächst unwillkürlich auf einen goldplattierten Buddha aus Thailand, der um das Jahr 1350 gefertigt worden sein soll. Eine ausgesprochen schöne Plastik, die eine große Ruhe ausstrahlt und damit ganz im Gegensatz zu der Ausstellung steht, die auf demselben Stockwerk derzeit zu besichtigen ist. „Der i-Kosmos. Macht, Mythos und Magie einer Marke“ bietet einen Überblick über die Entwicklung des Designs von Produkten der Firma Apple einschließlich der Vorläufer und einiger Konkurrenzprodukte. Das Photographieren und das Filmen werden in dem Haus sehr liberal gehandhabt, weswegen man auf YouTube gleich mehrere Filme findet, die die gesamte Ausstellung zeigen.
Der Schwerpunkt der Schau liegt auf den mobilen Geräten iPod, iPhone und iPad. Gezeigt werden aber auch die historischen Vorgänger, zum Beispiel der erste Sony Walkman oder das Tamagotchi, mit denen das mobile Musikhören und Spielen zu Anfang der 1980er Jahre begonnen hatte. Mit der Zeit liefen immer mehr vor allem junge Menschen mit einem leichten Kopfhörer versehen durch die Straßen. Man war allein in der Masse, individualisiert mit der eigenen Musik unterwegs. Gehen, Joggen, Einkaufen und gleichzeitig Musik hören. Erstes Multitasking. Und das Medium der Wahl war die Musikkassette, die vor allem eine ausgesprochen schlechte Dynamik aufwies. Der Übergang zu mp3 ist aus dieser Sicht tatsächlich ein großer Fortschritt.
Ein eigener Tisch präsentiert die beiden großen Gegenspieler der Epoche, den IBM PC und den Apple Macintosh von 1984, der klein und kompakt neben der großen grauen Kiste von Big Blue steht; ursprünglich sei das Apple-Gehäuse weiß gewesen, es sei nachgedunkelt. Es ist der Rechner, der den Ruhm der Firma Apple begründet hatte, hier setzt auch meine aktive Erinnerung ein: DTP, die Maus, die grafische Bedienoberfläche des Macs. Alles gekauft, alles geklaut und in einmaliger Weise zusammengefügt und konsumierbar gemacht. Die wenigsten dürften wissen, daß Apples Produktprogramm bis heute nichts wirklich Eigenes umfasst, sondern immer nur die technische Entwicklung aufgegriffen und fortgeführt hat. Dies alles begleitet von dem legendären Werbespot zum Orwell-Jahr, der den Besucher schon am Eingang empfangen hatte.
Daneben die ersten iMacs und das orangene bonbonfarbene iBook, die heute noch schön aussehen. Die ersten Rechner von Apple, die Apple I und II sowie LISA, werden nur auf Abbildungen gezeigt. Was in dieser Reihe fehlt, sind die Homecomputer, mit denen die meisten Benutzer in dieser Zeit arbeiteten, vor allem der Commodore C64, das typische Konfirmationsgeschenk Anfang der 1980er Jahre.
Die Führung versucht den Blick für das Ästhetische zu schärfen, ohne die eingeschworenen Apple-Jünger, aus denen sich das Publikum größtenteils zusammensetzt, zu verschrecken. Apples erstes Logo von 1976 kannte ich auch noch nicht. Es zeigt Isaak Newton, wie er unter einem Baum sitzt, bevor ihm der Apfel auf den Kopf fiel, mit dem sich die Apple-Gründer identifizierten. Nicht Newton war ihr Vorbild, sondern der Apfel, der ihm den Anstoß gab. Der Apfel, der auch die Frucht der Erkenntnis symbolisiert, mit der Eva einst Adam verführt haben soll. Das alles wie im Stil der vorletzten Jahrhundertwende gezeichnet, rückwärts gewandt, während Apple heute in der Gegenwart wirkt und gerne als Avantgarde und technisch fortschrittlich sich zeigt. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb das Unternehmen die Ausstellung nicht unterstützt hat: Apple möchte nicht mit der Vergangenheit in Verbindung gebracht werden, auch nicht mit seiner eigenen. Fehlende Ausstellungsstücke mussten deshalb teilweise bei Ebay ersteigert werden. Apple, der sanfte, schicke Apfel, der so harmlos daherkommt und trotzdem knallhart auftritt.
Das iPhone war eine disruptive Technologie: Nach seinem Erscheinen war alles anders als vorher. Bedienoberflächen waren fortan „wischend“ zu bedienen, nicht mehr nur mit Klicks. Und das Internet steht seitdem jederzeit in der Westentasche zur Verfügung, falls man es mal braucht. Information ist käuflich. Das Phallussymbol ist flach geworden. Der iPhone-Kunde kauft sich das Jederzeit-und-Überall-Netz für viel Geld und fühlt sich auf diese Weise mächtig im Vergleich zu den Offline-Zeitgenossen um ihn her. Er hat „Zugriff“, buchstäblich at his fingertips. Er bedient die minimalistische Oberfläche mit einer eigenen Sprache aus Gesten, die mit den Fingern erzeugt werden – und alle anderen Hersteller folgten dem. Das iPad – der nächste Schritt – begeistert einen anderen Ausstellungsbesucher, einen Lehrer. Eigentlich sei ja sein 12-jähriger Sohn der Apple-Fan in der Familie, aber sie seien gerade im Frankfurter Apple Store gewesen, zwei Stunden lang (sic!), und als er erfahren habe, dass es nun auch eine App für Lehrer gebe, die Schülernoten verwalten könne, sei es um ihn geschehen gewesen: Jetzt kaufe er sich auch ein iPad. Sein Sohn ist überrascht, als ich darauf hinweise, dass die Systeme von Apple seit vier Jahren immer schlechter werden. Er hat bis heute auch noch nicht bemerkt, dass die Fernbedienung unter Snow Leopard in Verbindung mit der Vorschau und Skim nicht mehr funktioniert. Aber seine Irritation währt nicht lang.
Apple-Kunden sind unkritisch. Sie kaufen Geräte, die weniger können als andere, die teurer sind als andere, die aber genial einfach zu bedienen sind. Das Design ist kein Selbstzweck, es legt die Bedienung fest, form follows function. Das letzte Bild der Ausstellung zeigt jubelnde Kunden im Frankfurter Apple Store, die vor dessen Eröffnung auf der Straße genächtigt hatten. Sie sind die ersten, die dort ein iPad kauften, und sie werden vom Personal nun dementsprechend gefeiert. Und von einem Photographen dabei abgelichtet. Und wir stehen vor diesem Bild und betrachten es. Konsum als Selbstzweck. Wie hohl muss man sein in der Birne, um sich in diese Szene nahtlos als konsumistischer Idiot einzupassen? Die umstehenden Besucher scheinen für solche Überlegungen, die in der Führung höflicherweise nur äußerst sachte und geisteswissenschaftlich verbrämt angedeutet werden, gar keinen Sinn zu haben. Einer erwähnt stolz, er sei selbst dabei gewesen an diesem Morgen. Seine Freundin lächelt zustimmend. Ja, sie habe auch ein iPad, wie schön. Und heute Abend stand ich neben den beiden, mittendrin in diesem i-Kosmos. Der ersten Schau dieser Art, weltweit.
„Der i-Kosmos. Macht, Mythos und Magie einer Marke“ im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst, bis 12. Juni 2011.
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