14. Jahrgang | Nummer 9 | 2. Mai 2011

Brückner schaut heimwärts

von Henning Diessner

Wer Christian Brückner vor allem als Synchronstimme von Robert de Niro kennt, mag sich fragen, ob das Knurren der deutschen de Niro-Stimme und der schwärmerische, pathosgeladene Ton von Thomas Wolfes „Schau heimwärts, Engel“ zusammenfinden können. Brückner, der erfahrene Hörbuch-Sprecher, hat zur Eröffnung der Hör-gut-Reihe in der Berliner Philipp-Schaeffer-Bibliothek genau dies bewiesen. Blitzt nach seinem Blinzeln ins Publikum und dem Anheben der rauchigen Stimme vielleicht noch einmal die de Niro-Assoziation auf, so verschwindet sie bald hinter der Vielstimmigkeit von Wolfes Erstlingswerk von 1925. Man hört die dröhnenden Schimpftiraden und das ächzende, stöhnende Wehklagen des alten W.O. Gant, das eifernde Krächzen der Abstinenzlerinnen und das erschrockene, jammernde Stottern der Nanny. Brückner setzt zu diesen Tonlagen an, verdeutlicht sie, übertreibt nicht und lässt sie ausklingen. Man merkt das Bemühen, die eigene schauspielerische Virtuosität nicht die des Buches überdecken zu lassen. Vielmehr sieht man, dass er dem Rhythmus des Textes wippend nachgeht.
In der 1,5-stündigen Lesung ist vor allem Wolfes große Lust am Erinnern zu spüren. Die Erinnerungen scheinen auf und verbinden sich mit den phantastischen Vorstellungen des jungen Eugene Gant(dem Alter Ego Wolfes). Es ist eine Fülle von Nahaufnahmen des Lebens, in welche aber immer wieder der Tod hereinbricht. Wolfe kann auch diesem eine komische Seite abgewinnen, wenn etwa die alten Gants sich im Beklagen ihres nahenden Todes gegenseitig zu übertreffen versuchen. Brückner gibt diesen morbiden Humor trocken wieder.
In den zwei ausgewählten Kapiteln, die gelesen werden, zeigt sich sehr gut die Modernität Wolfes. Da sind die Westernmotive des frühen amerikanischen Films zu erkennen, die sich in Eugene Gants Phantasie festsetzen, ebenso die Perspektivwechsel, wie sie auch bei den Zeitgenossen dos Passos und Faulkner stilprägend sind und man wird Zeuge des rapiden Wachstums einer (zunächst) kleinen amerikanischen Stadt. Die Maßlosigkeit des Wachstums schlägt sich auch in Wolfes Romanprojekt nieder. Minutiös und doch voller metaphorischer Wendungen beschreibt er die amerikanische Wirklichkeit um das Jahr 1910 herum.
Brückner hat für diese Lesung die Übersetzung von Irma Wehrli, die 2009 im Manesse-Verlag erschien, ausgewählt. Gegenüber der von 1932 stammenden Schiebelhuth-Übersetzung, die bis 1989 auch die einzige deutsche war, ist diese eindeutig vorzuziehen, da Wehrli auf die umfangreichen Streichungen, wie Schiebelhuth sie leider machte, verzichtet und so Wolfes ausufernder, beschwörender und vielstimmiger Sprache besser Raum gibt. In der Wortwahl bleibt sie einfach, dichter am Original. Im Vergleich zur 1989 erschienenen Übersetzung von Sonja Schleichert sind die Unterschiede jedoch gering.
So ist es Brückner als Verdienst anzurechnen, dass er nicht nur einen früh verstorbenen Autor wieder ins Gedächtnis ruft, sondern auch einer gelungenen Übersetzung seine Stimme leiht. Er selbst konnte sich sichtlich für diesen Autor begeistern. Ohne diese Begeisterung hätte er sich wohl auch kaum an die umfangreiche Arbeit machen können, um dieses Buch einzulesen, das nun als 28-stündiges Hörbuch auf zwei mp3s im parlando Verlag erschienen ist.

Thomas Wolfe: Schau heimwärts, Engel, Hörbuch, parlando Verlag, 29,99 Euro.