14. Jahrgang | Sonderausgabe | 17. März 2011

Die Kunst der Katastrophe

von Anne Dresden

Man kann sich bei dem Versuch, kurz und bündig zu erklären, um welche Art Buch es sich bei Hans Magnus Enzensbergers „Album“ handelt, wohl nur die Zähne ausbeißen: Denn es ist, bezogen auf die Gattung, alles und nichts. Auch der Autor versucht sich eingangs an einer Zuordnung. Er findet für die Publikation Begriffe wie Potpourri, Kuddelmuddel und Ragout. Richtig ist, dass sie ein irrwitziges Sammelsurium aus eigenen und fremden Texten darstellt. Es ist ein echtes Charivari, das von Franz Greno – der 1985 zusammen mit Enzensberger die bibliophile „Andere Bibliothek“ begründete – umwerfend gestaltet und illustriert worden ist.
Auch, aber nicht allein weil auf eine Seitenzählung verzichtet wurde (die 336 Seiten hat der Verlag berechnet), kann man es von vorn oder hinten oder in der Mitte beginnen. Die Spanne dessen, was zu lesen ist, reicht von Beiträgen, die Hans Magnus Enzensberger für die von ihm 1980 mitbegründete und bis 1983 mitgeleitete Zeitschrift „Transatlantik“ schrieb, über Zitate von diesem und jenem (Kafka hier, Churchill dort, Marx und Novalis ebenso, ferner die ebenfalls schreibenden Enzensberger-Brüder Christian und Ulrich), bis hin zum Kindermund.
Die Texte drehen sich um so unterschiedliche Themen wie das Brot und die Schrift, die unaufhaltsame Verbesserung der Welt beziehungsweise Genaueres über deren Erschaffung, um Lügen, die lange Beine haben und das reine Weiß, das es nicht gibt. „Die gelungene Darstellung einer Katastrophe nennen wir Kunst“, heißt ein Aperçu. In diesem Sinne ist Hans Magnus Enzensbergers Sammlung eine gelungene Katastrophe, die mit schöner Unregelmäßigkeit zwischen literarischem Tief- und Unsinn hin und her pendelt. Der letzte Satz des knallbunten Patchworks lautet: „Die Schwarzmalerei ist nicht weniger ruchlos als der Optimismus.“ Und genau zwischen diese beiden Geisteshaltungen ist auch der Collagen-Autor einzuordnen.
Das zweite und parallel zum weißen „Album“ veröffentlichte Buch ist in tiefschwarzes Leinen gebunden. Den barocken Titel dieser mit erkennbar viel Lust und Laune verfassten Publikation hätte wohl jeder Lektor rundheraus abgelehnt, wenn es sich nicht um ein Werk des berühmten Hans Magnus Enzensberger handeln würde: „Meine Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin“. Es handelt sich also um ein Kompendium aller Projekte des Autors, die gescheitert beziehungsweise jener Pläne, die über das Stadium der Ideenfindung nicht hinausgekommen sind – und die hier großzügigerweise zur freundlichen Verwendung an kreative Leser weitergegeben werden: „Sollte also jemand im Heuhaufen der folgenden liegen gebliebenen und verwaisten Pläne etwas Brauchbares finden: Nur zu! Viel Vergnügen!“
Zu den Vorhaben, die entweder vereitelt oder nie realisiert worden sind, gehören Filme und Opern, Theaterstücke und verlegerische Projekte. Die Summe dieses Scheiterns wäre gewiss erschreckend, würde man sich – etwa beim Blick in die Enzensberger-Abteilung des eigenen Bücherregals – nicht in Erinnerung rufen, dass es sich bei ihm nicht um einen Gescheiterten, sondern vielmehr um einen der erfolgreichsten Schriftsteller der Bundesrepublik handelt.
In „Flops“ sind unter anderem weit gediehene Exposés für Filme über Georg Christoph Lichtenberg und Alexander von Humboldt zu lesen. Bei der Lektüre wird man bedauern, dass diese Konzepte filmisch nicht umgesetzt wurden. Vier bis fünf Produzenten hätten sogar Interesse an einer Verfilmung von Enzensbergers Roman „Hammerstein oder Der Eigensinn“ angemeldet und einer hat mit ihm er sehr konkrete Gespräche geführt. Das gilt auch für so manches deutsche Opernhaus, das sich zunächst brennend für die Libretti Enzensbergers interessierte, um nach nicht allzu langer Zeit vom jähen Gedächtnisverlust ereilt zu werden. Hier wie dort musste er feststellen: „Danach trat die branchenübliche Stille ein, die bis auf den heutigen Tag anhält.“

Hans Magnus Enzensberger: Album, Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 336 S., 39,90 Euro. Derselbe: Meine Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin, Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 241 S. 19,90 Euro