von Hermann-Peter Eberlein
Margot Käßmann ist für manche so etwas wie eine Heilige geworden: eine Bischöfin, die ihre private Verfehlung eingesteht, die schnell und mit Würde zurücktritt, ein Vorbild für all die Mixas und Jungs, die sich an ihre Ämter und Pöstchen klammern und vertuschen, was das Zeug hält. Eine, die mit den Brüchen ihres Lebens offen umgeht, ohne peinlich zu werden, die ehrlich bleibt, auch wenn es wehtut. Eine, die ihre eigene Theologie authentisch lebt: „Christentum ist nicht zuallererst eine Frage von Moral, sondern von Verantwortung. Mit Brüchen verantwortlich umzugehen ist viel wichtiger, als über richtiges oder falsches Leben zu richten.“
Doch Heilige pflegen sich dadurch auszuzeichnen, daß sie von sich selbst kein Aufheben machen, sondern die Öffentlichkeit meiden. Das ist im medialen Zeitalter zugegebenermaßen schwierig. Käßmann ist immer noch interessant – Journalisten, Verleger, Fotografen können mit ihr Geld verdienen. Man spekuliert beim Publikum auf die Gefühle, die schon die Berichterstattung über ihr Verkehrsdelikt geprägt haben: eine Mischung von Mitleid und Häme. Man giert nach Seelenstriptease, wenn schon die andere Form des Striptease nicht möglich ist, wie ihn Fußballerfrauen und Showsternchen im Playboy vorführen.
In dieser Situation läßt sich Käßmann auf ein Interview mit dem Spiegel ein – und verrät sich. Sie fühle sich ein bißchen wie bei Monopoly: Gehe zurück auf Los! „Ich habe keinen Arbeitsplatz, ich habe keine Wohnung …, ich werde ohne Familie irgendwo neu anfangen.“ Doch das ist pure Koketterie. Sie möchte keinen Sonderposten zu ihrer Versorgung, sagt sie – doch sie hat bereits einen.
Ein Bischofsstuhl ist in den deutschen evangelischen Landeskirchen nichts anderes als eine Pfarrstelle mit besonderer Amtsbezeichnung und besonderen überregionalen Aufgaben. Wer eine Pfarrstelle verliert – aus welchen Gründen auch immer – wird, da er oder sie Beamter auf Lebenszeit ist, in den Wartestand versetzt: man bekommt einen großen Teil seiner bisherigen Dienstbezüge und ist verpflichtet, jeden Dienst zu übernehmen, der einem von einem Vorgesetzten der mittleren Verwaltungsebene aufgetragen wird.
In genau dieser Situation ist Margot Käßmann jetzt. Wenn sie wirklich keinen Sonderposten möchte, hat sie die Möglichkeit, genau das zu tun, was jeder ihrer Kollegen tun müßte, das, wozu sie ausgebildet und was ihr Beruf ist. Es wird doch wohl irgendwo in der Hannoverschen Landeskirche eine Schwangerschaftsvertretung durch sie zu übernehmen sein, irgendwo ein kranker Pastor eine Entlastung brauchen, irgendwo eine Superintendentin eine Hilfskraft für Routineaufgaben suchen. Kein Sonderposten, das bedeutet Demut, das bedeutet: Beerdigungen halten, Trauungen vollziehen, bei Achtzigjährigen Kaffee trinken, Busausflüge für Seniorengruppen organisieren, Konfirmandenunterricht geben, Kindergartenkindern Geschichten erzählen, einen Termin mit der Firma für die Orgelwartung vereinbaren, die Kuchenlisten für Gemeindefeste aufhängen. Aber genau dies, was jeder ihrer Amtsbrüder, jede ihrer Amtsschwestern täte, wird Frau Käßmann nicht tun, sondern sie wird ein Semester lang in Amerika Vorlesungen halten.
Margot Käßmann geht eben mit ihren 52 Jahren nicht zurück auf Los. Sie fängt nicht ganz von vorne an. Sie ist eine bekannte Frau, der viel mehr Türen offenstehen als allen anderen in vergleichbarer Situation. Sie ist eine erfolgreiche Schriftstellerin; ihre populär geschriebenen Bücher liegen in großen Stapeln in jeder Buchhandlung. Sie erhält Honorare, von denen sie vielleicht – jedenfalls ist das bei anderen Landeskirchen so – einen Teil an ihren Dienstherren abführen muß, als Ersatz für die entgangene Arbeitszeit. Es wird ihr genug bleiben, daß sie nicht darben muß. Vielleicht ist es für eine Frau mit ihrer Popularität tatsächlich schwer, wieder in der Normalität anzukommen und wirklich neu zu beginnen, sich nach einer Probezeit und kritisch beäugter Schulstunde mit zwölf anderen Kandidaten auf die Dorfpfarrstelle von Pusemuckel zu bewerben, wo es keine Schreibkraft und kein Gemeindebüro gibt und wo die Totengräber nur samstags arbeiten. Oder vierundzwanzig Stunden wöchentlich Religionsunterricht an einer Gesamtschule zu geben. Oder jeden Tag im Krankenhaus an die Zimmertüren zu klopfen und Menschen zwischen Angst und Hoffnung zu begleiten. Oder einem mißgelaunten Vorgesetzten als Aktentaschenträgerin zu dienen. Wenn man das wirklich will, darf man jedenfalls keine Spiegel-Interviews geben. Wenn man es nicht will, sollte man nicht mit einer Normalität kokettieren, die nicht existiert. Nein, Margot Käßmann mag vieles sein: intelligent, mutig, tapfer – eine Heilige ist sie nicht.
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