13. Jahrgang | Nummer 11 | 7. Juni 2010

Die 15-Minuten-Scham

von Ines Fritz

Meine Tochter ist jetzt 15, sehr cool und möchte gern einen Dehnstab kaufen. Ich habe mich sehr gefreut, daß sie mich vorher fragt und ihn nicht schon besorgt hat. Sie vertraut mir halt. Oder sie braucht Geld. Um mich aber nicht als ahnungsloser Zombie zu outen, durfte ich auf keinen Fall durchblicken lassen, daß ich keine Ahnung habe, was das ist. Wie immer, befürchtete ich das Schlimmste. Ich bin mit jedem Kind schrulliger geworden. Vielleicht auch mit jedem Jahr. Mich subtil vortastend, erfragte ich, was „so´n Teil“ kostet und bekam Augenrollen und „`n paar Euro halt“ als Antwort. Das will aber nichts heißen, denn soviel kostet auch eine X-Box und davon wird dann doch halb Meck-Pom satt.
Ich bohrte weiter, wieder die Wissende spielend, mental total fit, semantisch leichtfüßig, mit chronisch verschluckten Silben, wegen der flüssigeren Verständigung und dem supercoolen Habitus einer absolut nicht schrulligen Mutter: „N Dehnstab? Muß das sein?“
Meine Tochter antwortete gelangweilt, atmete tief und stöhnte als zeichnete die pure Langeweile ihr Leben in mausgrau:“ Na gut, dann eben ´ne Spirale.“ Ich hielt die Luft und rang um Fassung. Meine um Harmlosigkeit bemühte Neugier wich auch im Sitzen dem schrulligen Muttiwesen und ich plärrte los: „Ne Spirale? Geht´s noch? Und das sagste mir so nebenbei?“. Ich war erschüttert. Sie aber nicht, denn sie verkündete gelassen: „Was regste dich so auf? Haben doch alle.“ – „Also ich habe sowas nicht! Erzähl mir nichts! Sowas muß doch besprochen werden und nicht so zwischen Tür und Angel. Das trifft mich hier aus heiterem Himmel. Ich bin total überfordert.“ Sie spürte wohl meinen argumentativen Notstand und wollte mich beruhigen: „Mama, das ist doch nicht so schlimm. Das Loch wird nur ein bißchen größer und zieht sich auch schnell wieder zusammen. Und es soll auch nicht riesig werden.“
Beruhigung sieht anders aus, ich stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Hilflos versuchte ich nun meine Verzweiflung mit flapsigem Humor zu überspielen: „Du, darum geht es doch nicht, ich weiß schon, daß da irgendetwas kommen wird, aber es geht darum, was sonst noch so passieren kann. Ne Spirale verhütet nur Kinder, nicht den Rest. Bitte sorg dafür, daß er ein Kondom nimmt! Mit wem spielt sich da überhaupt was ab?“
Kurzum: Ich war ganz schön aufgeregt.
Meine Tochter war die Ruhe selbst. Um ihre Mundwinkel kroch ein Grinsen. Das fand ich unverschämt. Bestimmt würde sie mir erklären, daß sie keine 14 mehr ist, sondern schon seit 4 Wochen 15, und daß das alles ganz normal ist und überhaupt, ginge mich das nichts an. Und sie hätte recht. Irgendwie. Mir war das aber einfach zu früh und es kam so unerwartet, ich hatte keine Zeit, mich darauf vorzubereiten, mich damit abzufinden, daß mein Mädchen jetzt erwachsen wird. Ich kam (gefühlt) erst gestern aus dem Kreißsaal und roch an ihrem Haar. Aber heute (tatsächlich) fühlte ich mich hilflos und alt.
Und sie verkniff sich jeden Spott, bewies ihre wahre Größe und klärte mich dezent lächelnd auf: „Mutti, du komische Mutti, ein Dehnstab und eine Spirale steckt man sich ins Ohrringloch. Jetzt entspann dich. Beides kostet so um die 10 Euro und fällt kaum auf. Und finde dich bitte langsam damit, daß ich irgendwann erwachsen werde. So ein Dehnstab ist erst der Anfang, wenn auch nicht so einer wie du denkst.“
Dann habe ich mich eine Viertelstunde geschämt und versprochen, auch morgen noch komisch zu sein.
„Schrullig reicht“, meinte dazu meine Tochter.