von Jens Langer
Der zwanzigjährige Ziegenhirte ist ein scharfer Beobachter. Das Miteinander und das Aneinandervorbei im siebenbürgischen Dorf Hosman/Holzmengen/Holcmany bei Sibiu/Hermannstadt in Rumänien gibt es nicht erst in seiner Lebenszeit. Seine Großmutter hat ihm erzählt: “Kein Wunder, daß die Häuser der Sachsen größer und stärker sind als die der Rumänen und Zigeuner. Wir haben den ganzen Tag für sie gearbeitet und bekamen abends ein Kilo Mais und einen Liter Milch.”
Er ist ein wacher Zeitgenosse. Als wir nach der Arbeit im Stall abends alle auf der Veranda zusammensitzen, fragt er mich: Popa? Ich bestehe auf: Preot. Beim Grillen versucht er zu provozieren und singt, gekonnt, Teile der orthodoxen Liturgie mit improvisiertem Gestus. Gekonnt ist eben auch in Rumänien noch nicht gelebt und geglaubt. Er ist besorgt. Die 68 Ziegen sollen verkauft werden. Der Einsatz ist hoch: Hirte, zwei Frauen in der Käseproduktion, Marketing bis nach Bukarest, Präsenz auf Märkten und in Bio-Läden. Viel Selbstausbeutung, kaum Gewinn. Ein Fernsehsender hat dem „Holzmengener Käse“ den Titel “Bester Ziegenkäse Rumäniens” verliehen, jedoch Umsatz hat diese Werbung nicht gebracht. Die Leute kaufen weniger als im Vorjahr. Sie halten in der Krise ihr Geld fest, ob es viel ist oder wenig. Wenn Käufer für die Herde vorsprechen, hat der Hirte der kleinen Genossenschaft vor, sich mit ihnen anzulegen. Schließlich geht es auch um seinen Arbeitsplatz, um Lohn und Brot (im Wortsinn). Einige Interessenten kommen, machen Zusagen – und werden nie mehr gesehen. Das zerrt bei allen an den Nerven. Irgendwann geht es dann doch ganz schnell. Die Herde wechselt den Besitzer. Zu einem Dumpingpreis.
Der „Cioban“, der Hirte, und sein Gehilfe wandern mit ihren Tieren Ende September über die flachen Hügel des Karpatenvorlandes ins Nachbardorf. Die Frauen, auf denen bisher die Hauptarbeit lastete, sind nun erleichtert. Allerdings nicht nur, auch Wehmut kommt auf – über den Verlust der schönen Herde. Der Geschmack des guten Käses bleibt auf der Zunge, und Ende August kann er noch in vollen Zügen genossen werden.
Auf dem Gelände der Alten Mühle soll ein “Transilvanian Brunch” stattfinden. Im großen Garten treffen sich über 70 Leute: Siebenbürger Sachsen, Ungarn, Deutsche, Rumänen, Eingewanderte, Einzelne, Familien – Handwerker, Buchhändler, Studierende, Architekten, Bauarbeiter, Ausflügler …
Ein gerade in Siebenbürgen angekommener Zimmermann aus dem Brandenburgischen zeigt Mappen herum, um mit Zeichnungen und Bildern für seine Arbeit und für seine Fertigkeiten zu werben. Der Chorleiter aus Agnetheln ist wieder mit seiner Ziehharmonika da, hat selber mächtig Freude daran und stiftet andere dazu an. Einige tun sich zu sangesfreudiger Gruppe zusammen. Ihr Schwung gleitet tänzelnd in die Füße. Der Musikant strahlt. Abschied von Wehleidigkeit kann nicht oft genug gefeiert werden.
Die Alte Mühle soll bald wieder genutzt werden. Hufbeschlag, Bäckerei und Hofladen sollen entstehen. Hier war schon 2007 und 2008 ein Zentrum “Theaterwerkstätten”. Inzwischen ist mehr geschehen. Der Backofen steht. Es kann gemahlen werden, und auch Brot wurde schon zeitweise gebacken, für 150 Pfadfinder aus Belgien, Frankreich, Polen und Rumänien, die hier ein Sommercamp aufgeschlagen hatten.
Eine zweite Baustelle liegt an die fünfzig Kilometer weg. Hier hat der Zimmermann aus Brandenburg nun seine erste Arbeit in Siebenbürgen gefunden: Sanierung eines Dachstuhls mit Eindeckung, und zwar denkmalsgerecht. Der Mihai-Eminescu-Trust und die Mecklenburgische Landeskirche unterstützen dieses Projekt in der vorwiegend ungarisch sprechenden Kirchgemeinde, die sich aus ihrer alten Schule einen Treffpunkt, eine Art Klub schaffen will. Die Gabori sind ein ziganer Clan, der professionell Kupferklempnerei betreibt. Drei Mann von ihnen haben Dachrinnen und Fallrohre angebaut. “Mr. Gabor”, wie sich der Meister vorstellt, will sein Geld. Er bekommt es. Unkomplizierter geht es in einer Ziegelbrennerei bei Hermannstadt zu. Ein Familiebetrieb. Hier wird auf uns gewartet. Wir laden Fußbodenziegel für die Alte Mühle. Die Chefin der Brennerei ist gutgelaunt, wir – im Auftrag vom Hosman Durabil e.V. – gelten ihr als gute Kunden. Wir wiederum fühlen uns gut bedient, loben die Ziegel, loben den Preis. Auf der Rückfahrt frage ich die anderen, wie sich wohl diese freundliche Chefin zu Zigeunern verhalten möge. Lächeln, Stirnrunzeln: “Du, sie ist Zigeunerin.”
In der Hermannstädter Zeitung ist eines Tages vom Dorf zu lesen, es schlummere. Im Artikel kein Wort von Aktivitäten, keines von Handwerkern oder von anderen. Ein schwarzer Dorfköter wird von der Zeitung zum letzten Burgwächter ernannt, der auch den Journalisten mürrisch angeschaut habe.
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