13. Jahrgang | Nummer 3 | 15. Februar 2010

Attac

von Ulrich Scharfenorth

Die Zeit ist reif für Veränderungen. Wir durchleben eine Periode, die den Kapitalismus an die Grenzen seiner Existenzfähigkeit verschlägt – und kein „normales systemisches Wechselbad“, wie uns das die Neoliberalen vortäuschen wollen. Die Finanzkrise hat uns gepackt, die arbeitende Bevölkerung leidet in an Jobverlusten,  Kurz-, Leih- und prekärer Arbeit, und die Wirtschaft vermag sich trotz dieser Restriktionen nur mühsam auf Wachstumskurs zu bewegen. Allein die Rüstungskonzerne konnten in den zurückliegenden Monate ertragreich zulegen. Doch jetzt steigen auch die Kapitalgeber erneut zu Roß – selbst jene, die vom Staat aus Rettungspaketen bedient wurden. Sie beginnen, sagenhafte Renditen einzufahren und zögern dennoch, ihr Geld – ausreichend und zu annehmbaren Konditionen – in die Realwirtschaft zu investieren. Vor allem kleine Unternehmen, aber auch Unternehmensgründer erleben heute die Verschärfung von Basel II, dieses zum Teil wahnwitzigen Konstrukts, das unter dem Deckmantel „Bonitätsnachweis“ den Mitteltransfer auf die spekulativen Geldmärkte unterstützt. Und jetzt, da die Aufsichtsbehörde BaFin mit der Freigabe der Leerverkäufe auch die letzte Fessel für spekulative Geschäfte beseitigte, kann erneut hemmungslos gepokert werden. Der Finanzsektor ist frei. Für ihn ist alles wie vor der Krise. Und es ist abzusehen, daß er wie eh und je dem verhängnisvollen Blasenzyklus folgt, der uns sehr bald in eine neue, sehr viel gravierendere Rezession hinabreißen könnte. Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf, daß sich etwas ändert, geschweige denn durch Reformen verbessert wird. Da können  Obama, Sarkozy und Merkel so vollmundig schwätzen wie sie wollen. Was die Steuern angeht, so zielt alles auf die Entlastung von Unternehmen und Besserverdienenden. An die versprochene Beseitigung der „kalten Progression“ für Geringverdienende, an eine Steuer für große Vermögen und die Besserstellung von Kindern aus Hartz-IV-Familien denkt niemand. Ähnlich verheerend sieht es im Umweltbereich aus. Nach dem Scheitern der Kopenhagener Konferenz hat sich die Bundesregierung auf ihr altes Ziel – 20 Prozent CO2-Reduzierung bis 2020 (gegenüber 1990) – zurückgezogen. Und niemand weiß, ob das Geld für die bislang vorgesehene Förderung der alternativen Energien tatsächlich zur Verfügung steht.

Im Bundestag scheint die Lage diffus, die Opposition gibt sich hilflos. In der SPD werden Wunden geleckt, die Linke ist zerstritten, und die Grünen sind politisch kaum mehr einzuordnen. Auch die Gewerkschaften leiden an innerer Auszehrung. Die Zahl ihrer Mitglieder ist in den letzten acht  Jahren um 21 Prozent gesunken. Viele der Arbeitnehmer fühlen sich nicht mehr ausreichend vertreten, die europaübergreifende gewerkschaftliche Kooperation kommt nicht voran und brauchbare Instrumente gegen den verhängnisvollen Shareholder Value sind nicht in Sicht.

Bleiben die außerparlamentarische Kräfte: Attac, Greenpeace, Campact, der BUND … etc. Mir scheint sicher, daß Initiativen zu gesellschaftlicher Veränderung vor allem von ihnen ausgehen müssen. Dabei ist die Lage angesichts von Lügenpolitik und Medienpsychose alles andere als leicht.

Ich setze vor allem auf das international tätige Netzwerk der Globalisierungsgegner, auf Attac. Es verfügt heute über mehr als 90 000 Mitglieder in 50 Ländern. Niemand benennt national und international grassierende Mißstände heute so schonungslos und liefert gleichzeitig überzeugende Argumente zu ihrer Überwindung. Bei Attac geht es nicht um aufgeblasene, klassenkämpferische Losungen, sondern um nachvollziehbare, im Detail beschriebene Denkansätze/Handlungsanweisungen, die jeder Wirtschaftler und Politiker problemlos nachvollziehen kann – wenn er denn will. Mit Jutta Sundermann, Alexis Passadaki, Detlev v. Larcher und Pedram Shayar verfügt Attac Deutschland über kompetente Aktivisten, denen auch prominente Persönlichkeiten wie Heiner Geißler, Friedrich Schorlemmer und andere zur Seite stehen. Hinzu kommt mit Politikberatern (zum Beispiel Professor Harald Müller) und Sympathisanten (u.a. Jean Ziegler, Sven Giegold) eine Vielzahl praxisnaher und zugleich visionärer Unterstützer. Ganz zu schweigen vom weitgefächerten internationalen Netz: Attac Österreich (Christian Felber), Attac Frankreich (Bernard Cassen) etc.

Folglich sind die Bemühungen konservativer Rechter, Attac auf einen Haufen marodierender Revoluzzer zu verkürzen, geradezu irrwitzig und allenfalls““ angetan, Verwirrung zu stiften. Eines ist richtig: Die Bewegung steht links, doch sie läßt keineswegs als „extrem links“ verorten. Vielmehr vereint sie Kräfte, die eine gerechtere und solidarische Welt anstreben – unabhängig von sonstiger politischer Gesinnung und Zuordnung. Denn es geht um Schnittmengen. Und so finden sich dort auch Vertreter der bürgerlichen Mitte, von NGOs sowie Mitglieder von Hilfs- und kirchlichen Organisationen.

Ich persönlich stieß im März 2009 auf Attac. Damals besuchte ich die NRW-Regionalkonferenz in Wuppertal – vornehmlich, um mein gerade erschienenes Buch „Störfall Zukunft – SchlussFolgerungen für einen möglichen Anfang“ unter die Leute zu bringen. Ich fand dort auch Gehör, und ich wurde befragt: Was ich denn von Attac hielte. Meine Antwort fiel damals eher spärlich aus – nun, ich hatte kaum Infos. Heute ist mir Attac vertrauter: Ich registriere und seziere. Parallel dazu aber gehe ich Fragen nach, die eher politischer Art sind: Was tut Attac, um Gewalt auf seinen Demos zu verhindern? Wie kommt die Organisation aus ihrer (vom konservativen Lager) verordneten „Schmuddelecke“, und wie gelingt es ihr, große Bevölkerungsgruppen zu erreichen? Diese Themen sind heute überaus relevant, weil sie Existenzberechtigung und Erfolgsaussichten des Netzwerkes substanziell berühren.

Thomas Eberhard-Köster, Mitglied von Attac Düsseldorf, antwortet dazu recht unmißverständlich: Attac lehne Gewalt grundsätzlich ab. Ausschließliches Ziel sei es, Mehrheiten für eine neue Politik zu organisieren. Dabei setze man vor allem auf Aktionen des zivilen Ungehorsams. Bei Aktionen und Demos – so Eberhard-Köster weiter – gebe es klare Prinzipien. Immer gehe es um die Sache, und die könne in der Gesellschaft nur ankommen, wenn es friedvoll zuginge. Vor allem in Heiligendamm (2007: 100 000 Menschen gegen die Anmaßungen von G8), aber auch in Frankfurt und Berlin (2009: „Wir zahlen nicht für Eure Krise“) sei klar geworden, daß derartige Proteste nicht nur Sinn haben, sondern auch etwas bewirken können. Immerhin sei die Finanztransaktionssteuer selbst in der schwarz-gelben Koalition ein Thema und das Gros der Bürger auf einen schnellen Abzug aus Afghanistan eingestimmt. Hier habe man Breitenwirkung erreicht. Daß dies auch Mutmaßungen nähre, Attac „verbürgerliche“ oder büße kritisches Potential ein, sei nicht auszuschließen. Er – Eberhard-Köster – aber weise das entschieden zurück. Bereits am 20. März sei man in Essen wieder dabei („Wir zahlen nicht für Eure Krise“). Kurz darauf folge eine Aktion in der Berliner Volksbühne (9.-11. April: „Das Bankentribunal – von Räubern, Rettern und Renditen“).

Hier kann ich mich nur fragen: Wer, bitte sehr, geht der Finanzkrise kritischer und zielstrebiger auf den Grund als … Attac?