von Bernhard Romeike
Auf der Website des sächsischen Bundestagsabgeordneten Peter Hettlich von Bündnis 90/Die Grünen steht als pdf-Datei eine Antwort aus dem »Bundesministerium der Verteidigung«. (Über diese Namensgebung soll jetzt nicht debattiert, sondern sie einfach als Selbstbezeichnung benutzt werden.) Hettlich hatte am 2. Juli 2009 im Bundeskanzleramt angefragt, wie hoch denn der »Anteil der Soldatinnen und Soldaten ostdeutscher Herkunft an der Gesamtzahl der am Auslandseinsatz beteiligten Bundeswehreinheiten« ist. Die Antwort kam am 9. Juli von dem CDU-Abgeordneten und Parlamentarischen Staatssekretär in jenem Ministerium, Thomas Kossendey.
Danach sind von insgesamt im Einsatz befindlichen 6 391 Militärangehörigen 3 143 oder 49,18 Prozent Ostdeutsche. Hier gibt es natürlich eine interessante Hierarchie: Bei den kommandierenden Generalen und Admiralen sind es null, bei den Stabsoffizieren 16,57 Prozent, den Truppenoffizieren 36,52 Prozent, den »Unteroffizieren mit Portepee«, also den verschiedenen Feldwebel-Dienstgraden 42,89 Prozent, den Unteroffizieren »ohne« 57,29 Prozent und den Mannschaften 62,47 Prozent. Angesichts der Tatsache, daß der Anteil der Ostdeutschen an der deutschen Bevölkerung bei etwa zwanzig Prozent liegt, ist das deutlich überproportional, insgesamt – und um so deutlicher, je niedriger die Dienstgrade.
Hettlich meinte, das hänge vor allem damit zusammen, »daß ostdeutsche junge Leute sehr viel geringere zivile Lebensperspektiven haben als westdeutsche«. Das ist nur die deutsche Variante eines bekannten Problems. Aus den USA weiß man, daß überproportional viele Schwarze in den Streitkräften dienen, auch dort um so mehr, je niedriger die Dienstgrade, und in Chile finden sich unter den Mannschaftsdienstgraden überproportional viele Mapuche – die indianischen Ureinwohner, die vor allem im kalten, wenig entwickelten Süden des Landes wohnen –, während bei den Offizieren ebenfalls gilt: je höher, desto weißer oder europäischer Abkunft.
In diesem Sinne könnten für Ostdeutschland die Sozialwissenschaftler nicht nur immer den Vergleich zum Mezzogiorno in Italien ziehen, in dem sich die Unterentwicklung seit anderthalb Jahrhunderten reproduziert, sondern auch diese Rekrutierungstendenzen der Streitkräfte vergleichend in den Blick nehmen. Es ist augenscheinlich ebenfalls ein Kriterium sozialer Benachteiligung beziehungsweise wirtschaftlicher Unterentwicklung, regional oder soziostrukturell oder ethnisch, sich überproportional zu den Steitkräften beziehungsweise zu Kampfeinsätzen zu melden, obwohl die Wahrscheinlichkeit steigt, dabei erschossen oder von einer Granate zerfetzt zu werden. Für viele junge, vor allem Männer scheint dies die einzige Möglichkeit zu sein, ausreichend Geld zu verdienen. Bei Hettlich hieß es dazu: »Daß vor allem Ostdeutsche den Kopf hinhalten, ist auch ein Zeichen für eine verfehlte Aufbau-Ost-Politik des Bundes.« (Für die die Grünen 1998 bis 2005 mitverantwortlich sind – was er allerdings ausblendet.) Es gab dann im Nachgang auch noch Zahlen zu den Gefallenen: Seit 2001 wurden in Afghanistan 35 Bundeswehrangehörige getötet, darunter 13 Ossis; das sind 37,14 Prozent.
Nun sollte man annehmen, dies sei für linke und friedensbewegte Menschen ein Thema. Dem scheint aber nicht so zu sein. Die »junge Welt« berichtete am 11. Juli über Hettlich und die Zahlen in einem Artikel des Redakteurs Rüdiger Göbel unter der Überschrift: »Ossis als Kanonenfutter«. Das nannte der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe von der SPD, »verwerflich«. Darüber und über die ostdeutschen Soldaten wiederum mokierte sich Göbel in seiner Zeitung am 20. Juli unter der Überschrift: »Ossis sterben klaglos.« Der Mann hat, wie man hört, in Heidelberg studiert. Dort kann man dem Frieden natürlich aus der warmen Stube entgegensehen.
In einer Debatte unter linken Friedensmenschen wurde kürzlich die Frage aufgeworfen, ob man gegen die verantwortungslose Politik der deutschen Regierungen, »Deutschland am Hindukusch zu verteidigen«, nicht das Argument setzen sollte, das »unsere Jungs« dort in den Tod geschickt werden. Darauf eine empörte Stimme (auf Schwäbisch), das seien »nicht unsere Jungs«, die seien alle freiwillig dort. Da waren die Debatten in Deutschland nach 1918 und nach 1945 schon weiter.
Hier sei die Nachfrage gestattet, ob es sich »nur« um politische und menschliche Dummheit oder mehr um den ethnisch-kulturellen Dünkel von Westdeutschen gegenüber Ostdeutschen handelt, der auch unter Linken grassiert. Und die gleichen Leute wundern sich, daß die Friedensfrage und die soziale Frage und die Ost-West-Frage in Deutschland nicht so recht zusammengedacht werden, politisch-organisatorisch kaum zusammenkommen und jede der sozialen beziehungsweise politischen Bewegungen sich separat bewegt.
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