Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 6. Juli 2009, Heft 14

Wenn er Ja sagt, was meint er dann?

von Uri Avnery, Te1 Aviv

Netanyahu erklärte: »Wir reichen unsere Hand zum Frieden.« In meinen Ohren hörte sich das bekannt an: Im Sinai-Krieg 1956 war einer meiner Redaktionsmitarbeiter in die Einheit eingezogen worden, die Sharm-Al-Sheikh eroberte. Er, der in Ägypten aufgewachsen und der arabischen Sprache mächtig war, interviewte den ranghöchsten der gefangenen ägyptischen Offiziere, einen Oberst. »Jedes Mal, wenn Ben Gurion verkündete, er reiche seine Hand zum Frieden«, sagte der Ägypter, »waren wir in höchster Alarmbereitschaft.« Netanyahu hat diese Methode aufgewärmt.
Ich unterschätze natürlich nicht die Tatsache, daß der Chef der Likud-Partei die Worte »palästinensischer Staat« benutzte. Worte tragen politisches Gewicht. Einmal ausgesprochen, entwickeln sie ihr eigenes Leben. Man kann sie nicht, wie einen Hund, zurückrufen. In einem beliebten israelischen Lied fragt der Junge das Mädchen: »Wenn Du Nein sagst, was meinst Du dann?« Man könnte genauso gut fragen: Wenn Netanyahu Ja sagt, was meint er dann?
Auch wenn. die Worte »palästinensischer Staat« von Netanyahu nur unter Druck ausgesprochen wurden, haben sie Gewicht. Die Idee des palästinensischen Staats ist nun zu einem Teil des nationalen Konsens geworden, und nur eine Hand voll von Ultra-Rechten lehnt sie weiterhin direkt und unverblümt ab. Das ist aber erst der Anfang. Der Haupt-Kampf wird sein, die Idee in die Tat umzusetzen.
Die ganze Rede war nur an einen gerichtet: an Barak Obama, nicht an die Palästinenser. Klar war, daß die Palästinenser zwischen dem USA-Präsidenten und dem Premierminister Israels nur passives Gesprächsobjekt sind.
Nach seinen Worten ist Netanyahu bereit, mit der »palästinensischen Öffentlichkeit« zu verhandeln, natürlich »ohne Vorbedingungen«. Will sagen: ohne Vorbedingungen von seiten der Palästinenser. Von Netanyahus Seite gibt es jede Menge Vorbedingungen, von denen jede einzelne für sich schon sicherstellt, daß kein Palästinenser würde zustimmen können, Verhandlungen aufzunehmen:
1. Bedingung: Die Araber müßten anerkennen, daß der Staat Israel der »Nationalstaat des jüdischen Volkes« sei (nicht »jüdischer Staat«, wie irrtümlich von der örtlichen und weltweiten Presse verbreitet wurde). Wie schon Husni Mubarak verkündet hat: Kein Araber wird so etwas akzeptieren, denn es würde bedeuten, daß anderthalb Millionen arabische Bürger Israels an diesem Staat nicht teilhaben, und sie würde von vornherein die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge verneinen – die Trumpfkarte der arabischen Seite.
Hier muß erinnert werden: Als die Vereinten Nationen 1949 die Teilung in einen »jüdischen Staat« und einen »arabischen Staat« beschlossen, beabsichtigten sie nicht, den Charakter dieser Staaten zu definieren. Sie stellten nur Tatsachen fest: Es gibt im Land zwei rivalisierende Bevölkerungen, deshalb muß das Land zwischen ihnen aufgeteilt werden. 40 Prozent der Bevölkerung des »jüdischen« Staats wären arabisch gewesen.
2. Bedingung: Die palästinensische Autonomiebehörde muß vorher ihre Herrschaft über den Gazastreifen festigen. Wie? Die israelische Regierung verhindert jeden Durchgang von der Westbank zum Gazastreifen, und keine palästinensische Truppe kann von hier nach da. Die Möglichkeit, das Problem durch eine palästinensische Einheitsregierung zu lösen, ist auch verwehrt: Netanyahu erklärte ein für alle mal, es gäbe keine Verhandlungen mit einer palästinensischen Führung, die »Terroristen« mit einschließe, »die uns vernichten wollen« – seine Art, Hamas zu beschreiben.
3. Bedingung: Der palästinensische Staat werde entmilitarisiert sein. Das ist keine neue Idee. Fast in allen bisher vorgelegten Friedensplänen ist von Sicherheitsvorkehrungen die Rede, die Israel vor palästinensischen Angriffen und Palästina vor israelischen Angriffen schützen. Aber nicht das hat Netanyahu im Sinn: Er sprach nicht von Gegenseitigkeit, sondern von Einseitigkeit: von einem palästinensischen Staat, dessen Luftraum und Grenzübergänge von Israel kontrolliert würden, also von einer Art vergrößertem Gazastreifen. Dabei wahrte er Überheblichkeit und Demütigung; allein das Wort »Demilitarisierung« sollte genügen, die Palästinenser zum »Nein« zu bewegen.
4. Bedingung: Jerusalem bleibe unter israelischer Herrschaft Dies wurde nicht als israelische Ausgangsposition zu Verhandlungen präsentiert, sondern als endgültige Entscheidung. Das allein genügt, um zu sichern, daß kein Palästinenser, kein Araber und kein Moslem diesen Vorschlag annehmen kann. In den Oslo-Verträgen steht, Israel werde um Jerusalems Zukunft verhandeln. Es ist ein allgemein gültiger juristischer Grundsatz, dem nach einer, der in Verhandlungen tritt, sich verpflichtet, dies bona fide zu tun, auf der Basis von Geben. und Nehmen. Deshalb beinhalten alle existierenden Friedenspläne die Rückkehr Ostjerusalems – ganz oder teilweise – unter arabische Kontrolle.
5. Bedingung: Zwischen Israel und dem palästinensischen Staat würden »verteidigbare Grenzen« festgelegt. Dies ist das Codewort für ausgeweitete Annexionen. Seine Bedeutung: keine Rückkehr zu den Grenzen von 1967, auch nicht mit Gebietsaustausch, der Israel erlauben würde, einige der großen Siedlungen seinem Gebiet zuzuschlagen. Um »verteidigbare Grenzen« festzulegen, müßte ein beträchtlicher Teil der besetzten Gebiete (die insgesamt nur 22 Prozent des Gebiets des mandatorischen Palästina vor 1948 ausmachen) israelisches Gebiet werden.
6. Bedingung: Das Flüchtlingsproblem werde »außerhalb israelischen Territoriums« gelöst. Das heißt: Nicht ein einziger Flüchtling würde zurückkehren dürfen. Tatsächlich stimmen alle überein, daß nicht Millionen von Flüchtlingen nach Israel zurückkehren. Nach der arabischen Friedensinitiative soll eine Lösung »von beiden Seiten akzeptiert« werden, – das heißt, Israel muß zustimmen. Man geht davon aus, daß die Parteien der Rückkehr einer symbolischen Anzahl von Flüchtlingen zustimmen. Dies ist eine äußerst beladene und empfindliche Angelegenheit, wer Frieden will, muß sich ihrer mit Vorsicht und größtmöglicher Empfindsamkeit annehmen. Netanyahu tut genau das Gegenteil: Seine provokative Feststellung, ohne jede Empathie, soll automatisch zur Ablehnung führen.
7. Bedingung: Kein Einfrieren des Siedlungsbaus. Das »normale Leben« der Siedler werde fortgeführt. Das heißt – es wird weiter gebaut, sozusagen für die »natürliche Vermehrung«. Der palästinensische Verhandler Michael Tarasy illustriert diesen Umstand so: »Wir verhandeln, wie wir uns die Pizza teilen, währenddessen ißt Israel sie auf.«
Wie wird Obama reagieren? Wird er auf einem absoluten Baustopp beharren? Netanyahu hofft, sich aus dieser Sache unbeschadet herauswinden zu können. Er hat einen neuen Gag: Begonnene Projekte müßten zu Ende geführt werden. Man könne nicht mittendrin aufhören. Die Pläne seien schon genehmigt. Die Mieter warteten auf den Einzug, die müsse man ja nicht leiden lassen. Wenn Obama darauf hereinfällt, muß er sich nicht wundem, wenn er, zu spät, herausfindet, daß diese Projekte 100 000 Wohneinheiten einschließen.

Aus dem Englischen: Weichenhan-Mer G.von der Redaktion gekürzt