von Heerke Hummel
E war eine gelungene Veranstaltung in der Berliner Langen Nacht der Wissenschaften gewesen: Studenten des Fachbereichs Rechtswissenschaft der FU Berlin spielten eine Sendung »Investigativ-TV« zum Thema »Finanzkrise« – mit einem Moderator, einem geschädigten Ehepaar, mit Finanz-Sachverständigen und Anlageberatern, einem Rechtswissenschaftler und einer Beraterin von der Verbraucherzentrale; dazu eingeblendete Berichte über Lage, Zustand und Verkauf von »Schrott-Immobilien«.
Aufgedeckt wurden rechtswidriges Verhalten von Anlageberatern ebenso wie die Tatsache, daß den »unglaublichen« Vorgängen im Finanzbereich im wesentlichen geltendes Recht zugrundelag. Da stellten sich denn dem Zuschauer mit DDR-Erfahrung Fragen. Was ist das für ein Rechtsstaat, in dem der »kleine Mann« auf die Hilfe von Verbraucherzentralen angewiesen ist, um sich der Ausplünderung – meist ohne oder nur mit geringem Erfolg – zu erwehren? Und was ist das für ein Recht, das dem zu Grunde liegt? Und wie kommt es zu solchem Recht?
Ich gehe einmal davon aus, daß der Gesetzgeber diesen Zweck nicht bewußt verfolgte, sondern daß das Recht einfach »der Wirtschaft« dienen sollte. Was ist das für eine Vorstellung von Wirtschaft, die ein Recht mit geradezu aberwitzigen Folgen hervorbringt?
Die Medien vermitteln den Eindruck, Banker hätten die Krise herbeigeführt, indem sie unverantwortlich, teils kriminell handelten. Wer aber bildete sie aus, gab ihnen, auch den handelnden Politikern, das geistige Rüstzeug auf den Weg, Wirtschaft und Finanzsystem durch einen sinnvollen gesetzlichen Rahmen zu ordnen? Da appelliert nun alle Welt an die Moral und an das Verantwortungsbewußtsein der Akteure. Tut das nicht die Kirche mit ihren Geboten seit Jahrtausenden zur Genüge? Sollte nicht besser gefragt werden, warum eine ganze Gesellschaft weltweit von einer nie dagewesenen, ruinösen Spekulationssucht erfaßt wurde? Es spekulieren doch alle, die mit Aktien und sonstigen Wertpapieren handeln und auf solche Weise ihre Zukunft ökonomisch sicherzustellen glauben! Und warum das? Weil der »wissenschaftlich begründete« Glaube an das Privateigentum und die private Verantwortung für das Wohl und Wehe jedes einzelnen zu einem unumstößlichen Mantra geworden ist. Vor allem Besserverdienende glauben, ihr Wohlstand sei – nach den Gesetzen des Marktes – ihr persönliches, privates Verdienst. Sie können und wollen für die Zukunft sparen und wissen nicht, wie sie sich in ihrem Privatsein am besten absichern. So greifen sie massenhaft nach dem, was ihnen der Markt bietet: Wertpapiere, deren Risiko ihrer Profitabilität proportional ist.
Wo ist sie geblieben, die Wissenschaft, die all das kritisch analysiert, die hinter die Erscheinungen an der Oberfläche der Wirklichkeit schaut, um zu untersuchen, wieviel Privates sich denn tatsächlich noch hinter allem verbirgt, was privat zu sein behauptet?
Heißt es nicht Öl ins Feuer zu gießen, wenn Billionen Euro aufgewendet werden, um den Finanzmarkt zu stabilisieren, statt die eigentlichen Ursachen der Krise zu beseitigen? Die liegen in der Abkopplung der Finanz- von der Realökonomie mit einer ungeheuren Finanzblase als Folge. Nun borgt der Staat, dieser Habenichts, bei den Reichen – anstatt ihnen zu nehmen und umzuverteilen –, um sie mit seinen Zinsen noch reicher und die Finanzblase noch größer zu machen. Die Saat für den nächsten, noch größeren Krach wird bereitet.
Und die Wissenschaft? Sie weiß offenbar keinen besseren Rat – jedenfalls nicht diejenige, die die Politik berät. Daß sich Geld und Reichtum aus sich selbst heraus vermehren können, ist ihr ein unerschütterliches Glaubensbekenntnis. Und der Gedanke, daß Geld und Reichtum etwas mit Arbeit für die Gesellschaft zu tun haben könnten, die Idee, durch eine staatlich regulierte und kontrollierte Finanzwirtschaft Zinsen, Dividenden und Kursgewinne von Aktien – neben maßlosen Gehältern einer Einkommenselite die entscheidenden Ursachen von Finanzblasen – aus der Welt zu schaffen, muß ihr als Eingebung des Teufels erscheinen. Undenkbar heute für den liberalen Normalverstand: Eine staatlich regulierte und kontrollierte Finanzwirtschaft, der im Interesse ökonomischer Stabilität Grenzen gesetzt sind!
Eine öffentliche Finanzwirtschaft könnte – zumindest auf Dauer – nicht als Geschäft der Geldvermehrung beheben werden, sondern müßte das Instrument einer gesellschaftlichen »Buchführung« im Interesse der Ökonomisierung von Produktions- und Leistungsprozessen der Unternehmen und Unternehmer sein, die ein Höchstmaß an Eigenverantwortung und Handlungskompetenzen haben. Denn sowohl die heutige Konstitution des vom Goldstandard gelösten Geldes als auch eine Vielzahl gesetzlicher und sonstiger öffentlicher Vorschriften haben ohnehin allen Aktivitäten in der Wirtschaft längst ihren privaten Inhalt und Charakter genommen.
So weit ist das öffentliche Denken – auch der Wissenschaft – noch nicht. Doch immerhin scheint man ja wohl an Universitäten, wenigstens an der FU Berlin, darüber nachzudenken, daß mit unserem Recht möglicherweise etwas nicht stimmt.
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