Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 20. Juli 2009, Heft 15

Bemerkungen

Kein Interesse

»Grenzen dicht für Kriminelle«, steht auf NPD-Plakaten.
Ich glaube, diese Partei werde ich doch nicht wählen. Warum sollte ich Interesse haben, daß die Kriminellen alle in Deutschland bleiben?

PL

KV wie keine Versorgung

Daß die Kassenärztlichen Vereinigungen überflüssig und eine (un)reine Geldverschwendung sind, ist eine weit verbreitete Meinung, die allerdings von den Kassenärztlichen Vereinigungen nicht geteilt wird. Wie wichtig und unentbehrlich diese oft angefeindeten KV sind, hat der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein unter Beweis gestellt. Er ist jetzt in einem Zeitungsinterview innovativ hervorgetreten. Es geht ihm um die Kosten, allerdings nicht um die, die die Kassenärztlichen Vereigungen verursachen, sondern um die, die den Patienten anzulasten sind. Bekanntlich sind es ja die Patienten, die das Gesundheitswesen so teuer machen, weil sie das Gesundheitswesen als Krankenwesen mißbrauchen.
Er sagt: »Die Hemmschwelle, ärztliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, ist immer noch niedrig«. Ihm zufolge mangelt es In Deutschland bei den Versicherten an Empfinden dafür, daß sie Kosten verursachen. Um hier den erforderlichen Wandel herbeizuführen, verlangt er eine Verschärfung der Praxisgebühr. Nach ihm sollen für jeden Arztbesuch fünf bis zehn Euro fällig werden. Ein Facharztbesuch ohne Überweisungsschein soll sogar bis zu fünfundzwanzig Euro kosten, und für die Überweisung zu einem Facharzt müßten nochmals fünf bis zehn Euro erhoben werden.
»Wenn die Arztbesuche«, konstatiert der Funktionär, »auf die notwendigen Fälle reduziert werden, wird es auch weniger Wartelisten geben.« Wer keine fünfundzwanzig Euro hat, ist, medizinisch gesehen, kein notwendiger Fall. Sein Vorschlag ist so einfach wie genial. Wer vom Arzt ferngehalten wird, verursacht keine Kosten. Also muß man so viel wie möglich Leute davon abhalten, einen Arzt aufzusuchen. Der Kassenärztliche Ratgeber läßt offen, wie die Mediziner mit dem Verdienstausfall umzugehen haben. Aber das ist ebenso einfach und genial. So etwa kann der Orthopäde Schnürsenkel für orthopädische Schuhe verkaufen, und der Pulmologe Luftpumpen verhökern.
Bei uns läuft eine ganze Reihe von Maßgeblichen herum, die dringend einen Facharzt für Psychiatrie konsultieren müßten. An deren Hemmschwelle sollten sich die gemeinen Patienten ein Beispiel nehmen.

Günter Krone

Aus dem Seniorenstift

Ein gängiges Klischee besagt, daß Frauen emotional diskutieren und Männer rational argumentieren. Dieses Vorurteil hat Bernhard Spring im Blättchen Nummer 12 eindrucksvoll widerlegt. So schreibt er im dritten Absatz: »Der Umgang mit Kindern wurde doch eindeutig mit dem Beseitigen von Müll gleichgesetzt beziehungsweise verglichen!« Dadurch zeigt sich, daß er offenbar den Unterschied zwischen gleichsetzen und vergleichen nicht kennt. Darunter leidet natürlich seine gesamte Argumentation, etwa wenn er das Ende , der behüteten Kindheit kommen sieht, weil die Forderung nach mehr Anerkennung und Bezahlung für das »Hüten« der Kinder angeblich ein Affront gegen die Kinder wäre, um die es ja schließlich gehe. Das ist falsch; es geht um die Wertschätzung der Erwachsenen, die diese Arbeit machen, das Ansehen von Kindern hat damit nichts zu tun. Wenn Herr Spring beispielsweise für seine Kinder einen Babysitter sucht, aber mit einem Kandidaten keine Einigung über die Bezahlung zustandekommt, dann hat dieser schlechte Mensch also etwas gegen seine Kinder – sonst würde er ja zum angebotenen Lohn arbeiten?! Im Schlußabsatz fällt mir die Formulierung »Kindergärtnerinnen … fordern unter anderem aus diesem Grund mehr Gehalt, als brächte nur ihr Beruf körperliche Beeinträchtigungen mit sich«, auf. Nur einem Dummkopf kann er damit suggerieren, daß die Gewerkschaft alle anderen Arbeiten als leicht einstuft und darum auf Lohnerhöhungen in anderen Berufen verzichtet. Das Gegenteil ist natürlich der Fall: Der Müllmann bekommt (zu Recht) etliche Zuschläge, und geht damit besser gestellt als die Erzieherin nach Hause. Das findet Herr Spring offenbar richtig, denn die Forderung von ver.di-Chef Bsirske nach einer Anhebung des Erzieherlohns auf das Niveau der Müllfahrer hat ihn zu seinem Artikel angestachelt.
Wie menschlich eine Gesellschaft ist, erkennt man auch daran, in welchem Verhältnis sie die verschiedenen Arbeiten entlohnt. Hier und heute ist es so, daß das Betrügen von ahnungslosen Kleinsparern mit windigen Anlageformen offenbar ein Vielfaches vom Erziehen der Kinder wert ist. Selbstverständlich offenbart sich hier ein kinderfeindliches Land. Wenn Leute wie Herr Spring diesen Zustand zementieren wollen, indem sie der wichtigen Arbeit mit Kindern einen angemessenen Preis versagen, sind sie Teil des Problems und nicht der Lösung!

Artur Frenzel

Aschereste

An einem Freitagabend in Berlin-Friedrichshain, eine Dönerspelunke. Zwei verwahrloste junge Männer sitzen drei verwahrlosten älteren Männern gegenüber. Alle fünf pflegen einen stumpfen Blick, jeder mit einer kleinen Flasche Bier vor sich und nichts zu erzählen in sich, geredet wird dennoch. Eine abgegriffene Bilderzeitung geht um, großes Wogen über Schlagzeilen auf der Front, verschmitzte Einigkeit über die Girls auf der Rückseite.
Auf den umliegenden Tischen sammeln sich Aschereste, Papier, geleerte Flaschen. Ein früher Greis schaut sich um, sucht Arbeit, sucht Beschäftigung, seit Jahren, hat sie gefunden, erhebt sich, stockt, überlegt, ob er wirklich … »Ich mach’s« – räumt den Müll ab, Grinsen unter den verbliebenden Vier: »Vertrag verlängert«, grinsen sie sich zu.
Der frühe Greis: »Ihr beiden, ihr habt Arbeit, seid jung, seid gemacht.«
»Was sind wir? Gemacht?«
»Ja, schaut euch doch an, habt alles.«
»Schau mich an«, sagt das Alphamännchen zu seinem Gefährten, der zurück: »Schau mich an.«
Das Alphamännchen verfallt einem hysterischen Lachen, in dem die Worte krampfhaft ausgerotzt werden: »Wir sind Fensterputzer, wir sind das Armseligste, was es gibt, wir wischen den Fliegendreck von fremden Fenstern und sitzen in’na Dönerbude zum Bier trinken: Schau uns an!« Spricht’s mit abgrundtiefem Selbstekel, seufzt, hebt die Flasche, Ruhe.
Der frühe Greis begibt sich auf seinen Platz bis die Tische wieder beschmutzt sind und Arbeit auf ihn wartet – unbezahlt, aber immerhin Arbeit.

Paul

Medien-Mosaik

Sie ist eine Düsseldorferin aus Pasewalk mit einem gehörigen Schuß Berliner Humor und lebt seit Jahrzehnten in Sachsen. Nach ihren Anfangen am Potsdamer Theater kurz nach dem Krieg kam Ursula Schmitter bald nach Leipzig, spielte im Kabarett Die Rampe, und spätestens ab 1955 mit Gründung der Pfeffermühle wurde Ursula Schmitter zu einer der führenden Kabarettistinnen der DDR. Sie hatte das Glück, mit Gerd Holger einen musikalischen Könner an ihrer Seite zu haben, der auf ihren Stil einging und ihn weiterentwickelte. Wer ihre gemeinsam mit ihm erarbeiteten Soloprogramme, wie »Das tut keine Dame« (1975) erlebt hat, weiß, daß sie die große Kabarett-Diseuse der DDR gewesen ist. Leider sahen es die Verantwortlichen von Fernsehen und Schallplatte nicht ebenso, so daß keine Programme von ihr überliefert sind. Um so verdienstvoller ist es, daß ihr Jürgen Klammer in seiner Reihe »Kabarettisten der DDR« eine CD gewidmet hat, auf der Veranstaltungsmitschnitte der sechziger Jahre bis ins neue Jahrtausend hinein zu hören sind. Großartige Chansons aus der Feder von Hildegard Maria Rauchfuß und Hanskarl Hoernig, aber auch von Klassikern wie Hollaender und Mehring sind darauf vereint. Leider befinden sich einige darunter, die doch von mangelnder Tonqualität sind, aber dennoch eine Ahnung von der Kraft der Künstlerin geben, die im vergangenen Monat ihren 85. Geburtstag begehen konnte. Es lohnt sich sicherlich, noch einmal gründlich in Rundfunkarchiven nach ihren Aufnahmen zu suchen!

Die Liebe und etwas andres noch Ursula Schmitter & Gerd Holger, CD mit Booklet, Selbstironieverlag, 14,90 Euro

*

Zwar wurde das Verfahren schon in den sechziger Jahren entwickelt, aber erst jetzt scheint sich das dreidimensionale Kino, zu dem man sich eine Brille aufsetzen muß, durchzusetzen. Während 3D-Animationsfilme und ebensolche Spielfilme oft von hanebüchenen Handlungen strotzen, sind die Naturfilme nicht selten aufklärerischer Natur. Immer mehr Kinos in den Großstädten zeigen 3D-Filme, bei denen der Zuschauer quasi in die Leinwand hineintauchen kann.
Wörtlich zu nehmen ist das bei dem Film Under The Sea 3D Paradiese im Meer: Hier geht es in die Unterwasserwelt der Korallenbänke, unter anderem zum Great Barrier Reef, nach Papua-Neuguinea und Indonesien. Die Bedrohung durch den weltweiten Klimawandel wird deutlich.
In Dinosaurs Alive 3D Lebensgroß zum Gregen nah! wird der geheimnisumwitterten Geschichte der Saurier nachgegangen, wie sie durch die Arbeit von Archäologen nach und nach Gestalt annimmt. Und auch die Saurier nehmen computeranimiert eindrucksvolle Gestalt an. So in etwa könnte die Welt in Trias, Jura und Kreidezeit wirklich ausgesehen haben!

Under The Sea 3D und Dinosaurs Alive 3D derzeit in ausgewählten deutschen Kinos

bebe

Geistlosigkeit

In der Geistlosigkeit ist keine Angst, dazu ist sie zu glücklich, zu selbstzufrieden – zu geistlos. Dies ist aber ein sehr bedenklicher Grund, und hier zeigt sich das Heidentum von der Geistlosigkeit verschieden; jenes ist bestimmt in der Richtung zum Geiste, diese in der Richtung vom Geist.
Das Heidentum ist darum, wenn man so will, Geistesabwesenheit und von der Geistlosigkeit sehr verschieden.
Und zwar ist das Heidentum weit vorzuziehen. Die Geistlosigkeit ist ein Stagnieren des Geistes, ein Zerrbild der Idealität. Darum ist die Geistlosigkeit nicht eigentlich dumm – wenn es aufs Schwätzen ankommt; aber sie ist dumm in der Bedeutung, in welcher von dem Salz gesagt wird: »Wenn das Salz dumm ist, womit soll dann gesalzt werden?« Ihre Verlorenheit, aber zugleich ihre Sicherheit, liegt darin, daß sie nichts geistig versteht, nichts als Aufgabe erfaßt, wenn sie auch alles mit ihrem kraftlosen Gewäsch umtappt. Wird sie nun einmal vom Geist berührt und beginnt sie einen Augenblick zu zucken wie ein galvanisierter Frosch; so tritt ein Phänomen ein, das vollkommen dem heidnischen Fetischismus entspricht. Für die Geistlosigkeit gibt es nämlich keine Autorität, denn sie weiß ja, daß es für den Geist keine Autorität gibt; da sie aber selbst unglücklicherweise nicht Geist ist, so ist sie trotz all ihres Wissens ein vollkommener Götzendiener. Mit derselben Veneration betet sie den Hohlkopf und den Helden an; ihr eigentlicher Fetisch bleibt aber unter allen Umständen der Scharlatan.

Sören Kierkegaard