von Matthias Perske
Der Verantwortliche, der immer wußte, wo es langging beziehungsweise wo es langzugehen hatte, schreitet die Gangway hinab, um das Schiff zu verlassen, und der oberste Dienstherr, über die Reling gebeugt, blickt ihm nach. Wie es scheint, vor allem erfreut und amüsiert, aber auch mit einer Spur Nachdenklichkeit. Ein so prägnantes Bild hat bisher noch niemand für den Abgang des scheidenden Vorstandvorsitzenden der Deutschen Bahn gefunden; zu unterschiedlich ist das Format beider Persönlichkeiten und das ihrer Tätigkeitsfelder. Die Ära des scheidenden Bahnchefs zeitigte allerdings Ergebnisse und Spuren von einer Größenordnung beziehungsweise Tiefe, die sich wahrscheinlich so nicht wiederholen oder umkehren ließen.
Die Deutsche Bahn wurde umgebaut zu einem Firmenkonglomerat, in dem das Eisenbahngeschäft nur noch in der Minderheit vertreten ist. Die weltweit hinzugekauften Logistikaktivitäten zu See, Luft und Straße überflügeln die ausländischen Eisenbahneinkäufe ebenso wie den einheimischen Eisenbahnmarkt. Zweifellos können die international ausgearbeiteten Bahnverbindungen wie die zwischen Peking und Hamburg oder Sassnitz und Mukran und Baltijsk durchaus begeistern und die Kundschaft überzeugen. Dem Heimatmarkt und, um nicht nur die Verbraucherperspektive einzunehmen, den deutschen Eigentümern, nämlich Bund und Bürgern, ist durch die Konzentration auf Korridoraktivitäten kein guter Dienst erwiesen. Die Flächenerschließung innerhalb Deutschlands ist ins Hintertreffen geraten.
In der topographisch wesentlich schwieriger zu erschließenden Schweiz, die zudem in ihren Distanzen hinter innerdeutschen Verbindungen zurückbleibt, steht das Binnengeschäft der Schweizer Bahn im Vergleich mit deren international tätigem Ableger gut da. Dem emissionsarmen Reisen und Verteilen von Gütern wird der Vorzug gegeben; die Lebensqualität wird in der Alpenrepublik nicht an vierspurig befahrbaren Autobahnen gemessen, die Eisenbahn wird dort in Gänze und nicht nur in einzelnen Sparten fiskalpolitisch belastet beziehungsweise unterstützt. Das eidgenössische Gemeinwohl wird nämlich nicht nur im öffentlichen Personennahverkehr, sondern ebenso im Personenfern- und Güterverkehr als forderwürdig angesehen.
Die Rahmenbedingungen hierzulande haben wesentlich dazu beigetragen, daß zwar der Wettbewerb der Eisenbahnunternehmen untereinander in Gang gekommen, um nicht zu sagen entbrannt ist, die Konkurrenz der Verkehrsträger am Markt aber immer noch in der Schieflage der Ölverbrauchsrepublik Deutschland verharrt. Die sogenannte Abwrackprämie paßt wunderbar zu den nicht endenwollenden Bemühungen, jeden Bürger im führerscheintauglichen Alter und Zustand zu veranlassen, alle Anstrengungen zu unternehmen, sich mit vier Rädern auszurüsten und sich in den automobilen Verkehrsstrom einzureihen. Dieses von der Lobby befeuerte verkehrspolitische Korsett eröffnet den Eisenbahngesellschaften in Deutschland vor allem eine Entwicklungsrichtung, nämlich die, sich selbst Busse, Flugzeuge und Lastkraftwagen anzuschaffen und in diesen Geschäftsfeldern das betriebswirtschaftliche Heil zu suchen und sich letztlich im Börsenrausch zu verlieren und selbst aufzugeben.
So weit ist es (noch) nicht gekommen, dem die Mindesterlöserwartungen können im globalen Kasino gegenwärtig nicht realisiert werden. Also muß vom Umsatz gelebt werden, der im Tagesgeschäft realisiert wird – von einem Geschäft, das wieder mehr auf heimischen Eisenbahnstrecken betrieben wird.
Der fortschreitenden Zersplitterung des deutschen Eisenbahnnetzes sollte unbedingt Einhalt geboten werden. Die zunehmende Anzahl von Binnengrenzen erinnert ohnehin fatal an die Zustände vor Gründung des Deutschen Zollvereins im Jahre 1834, von denen nur der intermodale Wettbewerber hin bis zur völligen Substituierung der Verkehre profitiert. Regionale Netze ziehen regionale Standards in einem Maße nach sich, das sich der Anwender der bundeseinheitlichen Straßenverkehrsordnung nicht vorstellen mag. Der Bund darf seine Verantwortung nicht weiter auf die – finanziell schlechter gestellten – Länder und Kommunen delegieren, die ihre Ausschreibungen und Bestellungen nach dem Billigkeitsprinzip ausgestalten, ohne den sozialen Standards die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.
Der Finanzierungsnotstand der öffentlichen Hand wird durch das verantwortungslose Bedienen der großen Einzelinteressen(ten) verschärft. Sollten je die ungedeckten »Wertpapiere« tatsächlich wertgestellt und daraus resultierende Schulden zur Vollstreckung freigegeben werden, geraten öffentliche Investitionen aus liquiden Eigenmitteln vollends in Gefahr. Dabei wäre im Gegenteil das Abschöpfen der beiseitegeschafften Kapitalvermögen und eine intelligente Fiskalpolitik mit wünschenswerten Steuerungseffekten geboten.
In Deutschland wurden Netze aufgebaut, um so viel wie möglich beziehungsweise nötig Fahrten durchzuführen und Absatzmöglichkeiten für die Fahrzeugindustrie zu schaffen. Das Netz der Bahnen wurde dabei nicht nur modernisiert, sondern auch reduziert, das des Straßenverkehrs über ein umweltverträgliches Maß hinaus verdichtet.
Die Fahrwegkosten aller Zugfahrten werden bereits heute weitestgehend beim Zugtrassenhandel eingerechnet und können von den Eisenbahnverkehrsunternehmen kaum vermieden werden, die Konzentration der Verkehrsströme erhöht die Auslastung der (vorhandenen) Strecken.
Die zaghafte Anlastung der Straßenkosten subventioniert insbesondere den Kraftverkehrsunternehmer, der die stärksten Belastungen auf das Straßennetz ausübt: den Schwerlastverkehr, er vermag zudem den wegezollpflichtigen Autobahnen auf schwächeren Strecken auszuweichen, die um so mehr verschlissen werden und den Kommunen am Hals hängen.
Die öffentlich finanzierten Fahrwegnetze müssen endlich nutzergerecht bepreist werden. Es wäre also wichtig, solche Preissysteme von integren Mitarbeitern der zuständigen Ministerien ausarbeiten zu lassen, auf die Mitarbeit von Industrievertretern zu verzichten und nach der nächsten Umbesetzungsrunde in Parlament und Bundesregierung mehr Volksvertretern zu begegnen, die den Dienst am öffentlichen Interesse als ihre Hauptaufgabe begreifen und nicht als Möglichkeit, mehr oder weniger transparent deklarierten Verpflichtungen aus Nebentätigkeiten nachkommen zu können.
Neben gleichen Rahmenbedingungen für die Verkehrsträger wäre es angezeigt, jedes Verkehrsunternehmen in seinen Spitzenpositionen mit Personen auszustatten, die zum Profil des Geschäftsmodells passen. Zweifellos passen Angehörige der Kraftfahrzeugbranche zu einem Autobauer, aber nicht zu einer Eisenbahn.
Um in einem Bild zu bleiben: Der Zug steht am Prellbock und bedarf dringend eines Lotsen, der ihn bis über die letzte Weiche zurückzusetzen vermag, um von dort aus wieder die freie Strecke zu gewinnen; im Zweifelsfalle genügte ein Rangierbegleiter, ein Mann vom Fach. Wird hingegen über den Gleisanschluß gefahren, geht es auf der Straße oder in der Luft nicht weiter, denn für die Eisenbahn bedeutet es die Entgleisung.
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