Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 25. Mai 2009, Heft 11

Bemerkungen

Und so schloß sie messerscharf

Am 27. April 2009 sprachen zwei Studenten der Stanford University Ex-US-Außenministerin Condoleeza Rice auf Abu Ghraib und Guantánamo an. Das Interview stellten sie als Video in Youtube ein. Es folgt ein Ausschnitt daraus:
Ist Waterboarding Folter?
Der Präsident gab uns die Anweisung, nichts zu unternehmen, was gegen die UN-Antifolterkonvention verstößt. Übrigens kam von mir keinerlei Genehmigung. Ich habe lediglich die Anweisung der Regierung an die CIA weitergegeben, daß sie also von Seiten des Justizministeriums grünes Licht hatten. Mehr habe ich nicht gemacht.
OK. Ist Waterboarding Folter?
Und ich habe gerade schon gesagt, daß man die Vereinigten Staaten, daß man uns angewiesen hatte, nichts zu unternehmen, was gegen die Antifolterkonvention verstößt. Deswegen ist es also per Definition so, daß eine Anordnung, die vom Präsidenten kam, gar nicht gegen die Antifolterkonvention verstoßen konnte.
Gut. Danke!
Alles klar.

Unrecht Ost

Zur Zeit läuft der Streit darüber, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, mal wieder auf Hochtouren. Diejenigen, die der Überzeugung sind, die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen, ziehen mächtig über die her, die diese Überzeugung nicht teilen, sogar dann, wenn letztere geschehenes Unrecht in der DDR gar nicht leugnen, sondern nur diesen »politischen Begriff« nicht verwenden wollen. Das Pikante an der Debatte ist, daß eigentlich keiner so genau sagen kann, was ein Unrechtsstaat ist. Ein Rechtsbegriff ist das nicht, und eine klare Definition gibt es auch nicht. In der Brockhaus-Enzyklopädie kann jedermann unter R nachlesen, was ein Rechtsstaat ist. Den »Unrechtsstaat« wird man vergeblich suchen.
Zu Zeiten des Kalten Krieges hatten die Ostblockstaaten alle das gleiche System. Sind das alles Unrechtsstaaten gewesen? Zu Stalins Zeiten sind im Gebiet der UdSSR systemkonform mehr Menschen umgebracht worden, als die DDR Einwohner hatte. War die UdSSR ein Unrechtsstaat? Wenn ja, warum sagt das keiner so? Und wenn nein, wieso nicht? Hängt das vom Ausmaß des geschehenen Unrechts ab? Was ist dann der Maßstab? Die USA haben den Irakkrieg völkerrechtswidrig begonnen, einen Krieg, der Tausenden das Leben gekostet hat. Sie haben das berüchtigte Guantánamo betrieben und durch ihre CIA Menschenraub und Folter begangen. Sind die USA deshalb ein Unrechtsstaat? Und warum gerät der in Mißkredit, der das tollkühne Wagnis begeht, Guantánamo mit Bautzen zu vergleichen (wohlgemerkt: zu vergleichen, nicht gleichzusetzen)? Die Beantwortung dieser Fragen ist eine wissenschaftliche Glanzleistung, ermöglicht durch einen Blick ins Wörterbuch. Das Wort »Unrechtsstaat« gibt es im Englischen nicht. Im Duden (24. Auflage) habe ich es allerdings auch nicht gefunden. Ob das ein politischer Skandal ist?

Günter Krone

Gerhard Hentrich

Es gibt nur noch wenige deutsche Verleger, die den Namen ihres unter anderem durch Cotta und Göschen, Carl Bertelsmann, Friedrich hold Brockhaus, Julius Campe, Eugen Diederichs, Kurt Wolff, Samuel Fischer, Anton Kippenberg, Peter Suhrkamp, Philipp Reclam, Bruno Cassirer, Gustav Langenscheidt, Georg Müller, Albert Langen geadelten Berufszweigs hochhalten und verdienen. Gerhard Hentrich, der mitten unter uns weilt und am 6. Mai sein fünfundachtzigstes Lebensjahr vollendete, ist eines der kostbaren Glieder in jener Kette, die den Hals der Aufklärung schmückt.
Gute Verleger – das unterscheidet sie von den schlechten – favorisieren die Bücher, die sie verkaufen wollen. Und lassen leichthin jene laufen, die sich von selbst verkaufen.
Auf Gerhard Hentrich stößt notgedrungen jeder, der die Berliner und die deutsche Geschichte unter dem Blickwinkel ihrer groben Fehlstellen verläßlich erkunden will. Im hunderte Titel umfassenden Spektrum der von ihm seit Jahrzehnten ans Licht gebrachten Bücher dominieren jene, die auf Fragen antworten, die zuvor niemand stellen wollte oder gestellt hat. Zum Beispiel auf jene nach dem Verbleib der wie unversehens ins Nichts entschwundenen Juden aus den Stadtbezirken Berlins. Bis zum viehischen Abtransport exakt verzeichnet nach Namen, Vornamen, Familienstand, Alter, Beruf, Straße, Hausnummer, Stockwerk …
Im Zusammensein mit Gerhard Hentrich, dem – kriegsbedingt – seit mehr als sechs Jahrzehnten ein Bein fehlt, habe ich erlebt, was Phantomschmerzen sind und wie heftig sie sich bemerkbar machen. Das intensive Stechen und Bohren in den Verästelungen eines langst abgetrennten und im Verbrennungsofen des Lazaretts veraschten Körperteils dauern gräßlich an, wenn die Schrnerzregionen des Hirns die gewaltsame Abtrennung eines Gliedes lebenslang nicht verkraften können …
Auch die Geschichte kennt den Phantomschmerz. Er spiegelt sich in unseren nicht verebbenden, weil unbeendbaren Diskussionen um deutsche Vergangenheit und Zukunft. Gerhard Hentrich steht mit beiden Beinen energisch im Leben. Ich danke ihm für alles Vertrauen und für seine auch mich beflügelnde Neugier. Und für sein sicheres Gespür in Sachen Bildkunst. Agathe Böttcher und Hannelore Teutsch wären ohne ihn nicht gerade eben erst wieder zu Buche geschlagen.

Jürgen Rennert

s-t

Die alten, schlechten Silbentrennungs-Programme konnten sprachschöpferisch sein – vor allem bei der Trennung von s und t, und nach der neuen Rechtschreibung häufiger als zuvor. Leider sind Funde jetzt selten geworden – darum hier mein Florilegium: Alter-steilzeit, Hau-stier (alt); Kopfs-tand, Biers-tube, Gas-traum, Blütens-taub, Feuers-turm, Siegels-tempel, Rücks-tau, Mans-tripper, Mehrwerts-teuer (neu).

Hermann-Peter Eberlein

Goliath ohne David

Die Augen gewöhnen sich gerade an die Dunkelheit, die noch in den Augäpfeln sticht. In naher Ferne blendet eine sepiafarbene Laterne. Auf der tiefergelegten Bundesstraße leuchten Baustellenlampen, die Schlaglöcher markieren, die die Zeiten in die Fahrbahn riß – Gefahr? Aus einem Fenster strömt der Geruch von billigem Kohl, aus dem Radio quillt die Stimme eines aufgeweckten Moderatoren: Mit uns macht die Finanzkrise Spaß – die Frau hinterm Herd rührt ungerührt in der dünnen Soße. Rechts flackert Licht in zwei Fenstern auf und wieder ab, schnelle Schnitte, die über die Mattscheibe des Zuschauers laufen, der sich einen Abend im Eigenheim leistet, seine Börse immer im Blick: Ist sie noch da?
Um die Baulampen schlängeln sich die Karosserien in den Abgrund, andere fahren in die Höhe – kommen sie zurück, wie die aufsteigenden Kabinen im Paternoster wieder absteigen? Ein großer Laster mit einem Container, auf dem chinesische Schriftzeichen in Lautschrift übersetzt zu lesen sind, fahrt bergauf, passiert die Stelle mit den Löchern, die anderen müssen kurz halten: StVO § 6 Wer an einem Hindernis auf der Fahrbahn links vorbeifahren will, muß entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Muß er ausscheren, hat er auf den nachkommenden Verkehr zu achten … Gleiches Recht für alle, zum Wohle aller?
Kurze Zeit später kommt wieder ein Lastschiff samt Container von der anderen Seite, nähert sich dem Hindernis, verlangsamt seine Fahrt, doch hält nicht. Es schlägt nach links ein, um das Hindernis zu umschiffen, die anderen nicht achtend. Ein schwerer Wagen, der durch seine Massivität Wert heischt und den Status seines Besitzers markiert, schiebt sich bergauf. Das Cockpit des verschlafenen Mittelklässlers wird vom Scheinwerferlicht des Lasters durchflutet, der Fahrer erwacht, er muß in die Eisen steigen. Der Fahrer des Lastkahnes sitzt zu hoch als daß er etwas sehen könnte, lockert die Handbremse und schiebt in einem Schwung die Statuskarosserie und die nachfolgenden ins Tal; Goliath hinter dem Steuer des Lastschiffes ist mächtiger, kein David da ihn zu stürzen – von welcher Seite sollte er kommen?
Am nächsten Tag sind die Zeitungsseiten weiß wie blendend – Ohnmacht.

Paul

 

Aus dem Spruchbeutel

»Wenn der Gedanke (Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, d. R.) richtig wäre, dann müßte auch die DDR heute noch bestehen.«

Hilmar Schneider
Direktor am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), Bonn

Neuer Tatort: Punkmusik

Wenn Schauspieler verlauten lassen, daß sie demnächst ein Album mit eigenen Songs aufnehmen wollen und dann wirklich den ganzen Käse einsingen, ahnt der Liebhaber guter Rockmusik Schlimmes. Und das zumeist zu Recht, siehe Ben Becker, Uwe Ochsenknecht (nebst Söhnen) und Katja Riemann. Es gibt aber die löblichen Ausnahmen wie Bernd Michael Lade. Lange bevor sich Lade als Regisseur und Schauspieler einen Namen machte, vor allem als Kain an der Seite von Kommissar Ehrlicher (Sodann) im MDR-Tatort, hatte er sich in der alternativen Musikszene Ostberlins einen Namen erspielt. Seine Bands Planlos und Cadavre Exquis waren nicht nur aufmüpfig, sondern aufbegehrend und auflehnend und voller Wut gegen Staat und Gesellschaft. Um etwas aus der Schußlinie der einschlägigen Organe zu kommen, wandte sich Lade Ende der achtziger Jahre der Schauspielerei zu. Durch die Absetzung des Tatorts konnte er wieder zurück zu alten Tugenden finden, zur Punkmusik. Endlich keine fremden Drehbücher mehr verinnerlichen, sondern eigene Liedtexte schreiben und zu Gehör bringen. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Maria Simon bringt er nun druckvoll und fast vernichtend Erlebtes zu Gehör, mit seiner Band Ret Marut. So verarbeitete er die Wut der Jugend: »er ist geboren in ostberlin, bei einer punkband mit 15, er rotzte raus, was ihm nicht paßt, das risiko war stasi-knast, er fütterte mit wut, er fütterte mit haß, er fütterte mit stolz seine punkmaschine …«
In jedem Song stecken, von »Solange Menschen atmen« über »Brief an unsere Kinder« bis zu »Sommer der Anarchie«, pure Emotionen, die hart, aber gerecht zum Punkt geprügelt werden. Heftig geht es musikalisch zur Sache, textlich rückhaltlos persönlich und ehrlich bis auf den Grund. Das Paar Simon/Lade bringt es in ihren Liedern auf den Punkt: »unsere Verse sind unsere Liebe«, kurz und gut: »Punk ist unsere Familientherapie!« Damit es aber nicht zu rotzig-chaotisch wird, verstärkte sich das »Punkpärchen« mit Schlagzeuger Frank Straßburger und Bassist Tom Goguel, die mit der erforderlichen Coolness ausgestattet sind.
Ret Marut ist übrigens ein Pseudonym des geheimnisvollen Schriftstellers B. Traven (ebenfalls ein Pseudonym), der in Deutschland den Anarchismus predigte. Funk und Anarchie sind gleich Ret Marut.

Thomas Behlert
Info: »Sommer der Anarchie« (Edel/Dunefish)