von Günter Wirth
Mit Albrecht Schönherr ist im Alter von 97 Jahren einer der letzten Schüler und Freunde von Dietrich Bonhoeffer in Potsdam, wo er als Vikar die Anfänge des NS-Kirchenkampfes erlebt hatte und wo er zuletzt wohnte, von uns gegangen. Fast gleichaltrig können nur noch der Sozialpfarrer Horst Symanowski in Mainz und Rudolf Weckerling in Berlin auf diese Wurzeln verweisen.
Schönherr ist als Dorfpfarrer im Märkischen wie als Superintendent in Brandenburg an der Havel wie erst recht in seinen leitenden kirchlichen Ämtern als Generalsuperintendent in Eberswalde und zunächst als Verwalter des Bischofsamtes, dann als Bischof von Berlin-Brandenburg (Ostregion) dem Bonhoefferschen Erbe stets treu und verpflichtet geblieben. Vor allem gilt dies für sein Verständnis von Kirche und Gemeinde, und diese waren für ihn immer das, was dann später, nach 1969, unter ihm im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR in einem synodalen Beschluß auf die Formel der »Zeugnis- und Dienstgemeinschaft« gebracht worden war. Tatsächlich ist diese Formel die eigentliche Definition dessen, was dann vordergründig als »Kirche im Sozialismus« im Gespräch, im theologischen Diskurs und allerdings auch im Mittelpunkt kirchenpolitischer Polemik war.
Von dieser Formel der »Zeugnis- und Dienstgemeinschaft« her verstand Schönherr auch sein Verhältnis zum Staat der DDR, das oft als kritisch-loyal bezeichnet worden ist, wobei das Element des Kritischen mit Recht an erster Stelle steht. Viele Exponenten in den Korridoren der Macht in der DDR meinten nämlich, mehr oder überhaupt nur das Kritische bei ihm entdecken zu sollen, weshalb es geradezu unerfindlich ist, wieso der Nachrufautor der Berliner Zeitung meinte feststellen zu dürfen, viele Evangelische in der DDR hätten in ihm einen »Kollaborateur« gesehen. Einen solchen Begriff mit diesem Kirchenmann überhaupt in Verbindung zu bringen, ist geradezu absurd. Letztlich galt für Schönherrs Verhältnis zur DDR seine absolute Ehrlichkeit und Offenheit. Wenn er Ja sagte, und wenn er Nein sagte, galt es erst recht. Es war dies freilich eine Sprache, die für seine Partner auf der anderen Seite offenbar schwer verständlich war; sie wollten immer nur ein Ja hören.
Schönherr war ein Bischof fern jeglicher Repräsentation. Ihm ging es vor allem um die Gemeinde in ekklesiologischer Perspektive und um den einzelnen »einfachen« evangelischen Christen als Staatsbürger in seinem Verhältnis zum Staat. So war für ihn auch wichtiger, daß die Evangelischen Kirchen nach langem Hin und Her endlich die Genehmigung erhielten, in Neubauzentren der Städte mindestens schlichte Gemeindehäuser errichten zu können, als der Wiederaufbau des repräsentativen, das alte Verhältnis von Thron und Altar manifestierenden Berliner Doms.
So hat dieser Bischof die Evangelische Kirche in der DDR in spannungsreichen Zeiten durch Scylla und Charybdis hindurchgeführt, die Scylla des Opportunismus und die Charybdis blinder Feindschaft. So auch konnte diese Kirche authentisch Zeugnis ablegen und im Sinn Bonhoeffers für andere da sein.
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