Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 2. März 2009 , Heft 5

Pontifex minimus

von Hermann-Peter Eberlein

Der sterbende Talleyrand – Minister so vieler Regierungen zwischen Französischer Revolution und Restauration – soll zu dem Priester, der ihm die letzte Ölung gab, gesagt haben: »Vergessen Sie nicht, Herr Abbé, daß ich Bischof bin.« Er war es seit Jahrzehnten schon nicht mehr, hatte geheiratet, Bastarde gezeugt, dem Kult der Vernunft vorgestanden, war zum Zyniker par excellence geworden. Und doch …

Die Anekdote mag ein wenig verständlicher machen, was zur Zeit in der römischen Kirche vorgeht. Es gibt nämlich einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Recht und dem Sakrament. Das katholische Kirchenrecht sieht Kirchenstrafen vor: als weitestgehende die Exkommunikation. Sie untersagt den Empfang der Sakramente und die Ausübung kirchlicher Handlungen. Sie hat grundsätzlich eine pädagogische Absicht und kann zurückgenommen werden – bei Todesgefahr sogar von jedem Priester. Sie ist kein Ausschluß aus der Kirche als der Gemeinschaft der Getauften. Den kann es auch gar nicht geben. Denn die Taufe ist wie die Weihe der Kleriker ein Sakrament, das einen unauslöschlichen Charakter verleiht.. Wer getauft ist, ist – mit dem Apostel Paulus gesprochen – Teil des Leibes Christi selbst geworden und kann daraus nicht wieder herausgelöst werden: durch die Kirche nicht, durch sich selbst nicht, durch die schwersten Sünden nicht, durch Ketzerei nicht, selbst durch den Teufel nicht. Aus einer rechtlich verfaßten Kirchengemeinschaft kann man austreten, aber nicht aus dem Leibe Christi.

Ein Sakrament hat etwas Magisches. Und wer wollte bestreiten, daß Religion mehr mit Magie zu tun hat als mit dem Recht? Göttliche Wunder stehen jenseits jeder menschlichen Ordnung. Sie sind gebunden nur an Gott selbst, der sie in einer bestimmten Weise zu wirken beschlossen hat – so (wenn man’s glaubt) in den Sakramenten. Bei aller Neigung zur Verrechtlichung hat die Kirche Roms das nie vergessen. Das macht ihre Größe aus und ihr Problem.

Denn die Weihen der Pius-Bruderschaft, durch ordnungsgemäß geweihte Bischöfe gespendet, sind gültig – trotz Suspension und Exkommunikation. Daran kann auch der Papst nichts ändern. Die Bruderschaft ist dabei, zu einer von Rom getrennten Nebenkirche zu werden, deren Sakramente Rom trotzdem anerkennen muß. Da nun hat sich Benedikt auf einen Titel besonnen, den er von den altrömischen Oberpriestern geerbt hat: pontifex maximus, oberster Brückenbauer. Sein Amt nämlich beinhaltet die Aufgabe, Einheit zu symbolisieren, Einheit zu stiften, Einheit wiederherzustellen. Einheit mit allen Kirchen, in denen die Sakramente gültig gespendet werden, weil ihre Priester selbst in der (fiktiv) ununterbrochenen Reihe gültig geweihter Bischöfe stehen. Darum ist Benedikt mit einem vorsichtigen Schritt auf die Pius-Brüder zugegangen, indem er ihre Exkommunikation aufhob.

Was folgte, ist bekannt. Ob die Kurie von Richard Williamsons Auslassungen zum Holocaust wußte, ist im Grunde egal. Joseph Ratzinger ist kein Politiker, sondern handelte aus der Logik seines Kirchenverständnisses heraus. »Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche«, heißt es in dem am weitesten verbreiteten christlichen Glaubensbekenntnis, das beinahe alle Konfessionen verbindet. Der Theologe, der Kirchenmann Ratzinger kann hinter diesen Satz des Glaubensbekenntnisses nicht zurück, wenn er das Bekenntnis selbst nicht zerstören will. Zur Disposition steht dabei nicht weniger als die Bindung des Heils an die Taufe und an die eine, wenn auch institutionell gespaltene Kirche. Letztlich geht es um den Absolutheitsanspruch des christlichen Glaubens.

Es liegt an diesem Selbstverständnis der Kirche, daß ihr oberster Brückenbauer seine Aufgabe nur innerkirchlich erfüllen kann. Er hat als erster Papst zugunsten einer einfachen Bischofsmitra auf die heraldische Tiara verzichtet, um den orthodoxen Kirchen zu zeigen, daß er auf den Herrschaftsanspruch über sie verzichtet – denn sie haben das altkirchliche Verständnis der Sakramente bewahrt. Man hat es ihm bislang schlecht gedankt. Er ignoriert die Protestanten, die dieses Kirchenverständnis nur eingeschränkt teilen. Man reagiert mit Verärgerung und Unverständnis. Er riskiert den ihm persönlich wichtigen Dialog mit dem Judentum, weil die innerkirchliche Einheit Vorrang genießt.

Man schreit Zeter und Mordio. So ist Benedikt nach innen tatsächlich pontifex maximus – und je konsequenter er das ist, nach außen immer mehr pontifex minimus. Die Brücken zur Welt, zu jeder Form von Selbstverständnis jenseits des christlichen Glaubens, werden zusehens schmaler. Sie wieder zu verbreitern, bräuchte die Kurie wohl einen fröhlichen Bischof und Weltmann wie den ausgefuchsten Diplomaten Talleyrand.