von Klaus Hart, São Paulo
Der 68jährige Schwarze Emanoel Araújo, Direktor des »Museu AfroBrasil« in São Paulo, zählt heute zu den wichtigsten und außergewöhnlichsten bildenden Künstlern Brasiliens. 1940 als Sklavennachfahre in Bahia geboren, hat der »Afro-Minimalist« als Bildhauer, Zeichner, Maler und Grafiker, doch auch als Kämpfer gegen Brasiliens Apartheid einen Namen. Sein von Oscar Niemeyer für São Paulos Ibirapuera-Stadtpark projektiertes Museum bietet ihm elftausend Quadratmeter Experimentierfläche.
Araújo blickt von seinem Büro aus auf tropische Vegetation, auf Bäume hoch wie im Urwald des Amazonas – von der geballten Häßlichkeit der abgasverseuchten Megacity merkt er hier nichts. »Das Museum gibt es erst seit vier Jahren – bis es eine Art Bestseller wird, dürfte noch etwas Zeit vergehen. Ich war ja der einzige, der ständig auf so ein Museum gedrungen hatte. Von meiner Generation der schwarzen bildenden Künstler Brasiliens bin ich nur übrig. Von den anderen beiden in Rio de Janeiro verlor einer den Verstand, der andere verschwand von der Bildfläche. Heute sind die Bedingungen für schwarze Künstler schlechter als Jahrhunderte zuvor. Das mag verwundern, aber damals waren diese Künstler in eine – wenngleich dekadente – Struktur eingebunden. Heute gibt es indessen keinerlei Struktur mehr, nichts, was einen Künstler unterstützt. Es sei denn, er gehört zu einer gesellschaftlichen Elite, die ihm hilft.«
Araújo weiß, wovon er redet. Seine Vorfahren waren zwar schwarze Sklaven Bahias, doch gleichzeitig Angehörige der hochgeachteten, für den Prunk der Kolonialepoche bedeutsamen Goldschmiedezunft. Die reichen Portugiesen zogen es damals gewöhnlich vor, statt eigener Söhne talentierte Sklaven auf die Schulen, auch die Kunstschulen, zu schicken.
»Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts wurde Kunst in Brasilien vornehmlich durch Schwarze geschaffen. Ob Malerei oder Bildhauerei, Verzierungen und Schmuck – der brasilianische Barock hatte großartige schwarze Künstler. Selbst in der brasilianischen Barockmusik gaben dunkelhäutige Komponisten wie Mauricio Nunes Garcia den Ton an. Und als nach 1808 der Kaiser französische Maler und Bildhauer ins Land holte, die Akademie der schönen Künste gegründet wurde, bildete man dort der Tradition folgend auch talentierte Schwarze aus. Daß all diese Künstler heute in der Kulturgeschichte Brasiliens nicht oder kaum präsent sind, ist ein Reflex des perversen, scheinheiligen Rassismus.«
Araújo hat im Museu AfroBrasil bereits über 4 000 Kunstwerke zusammengetragen – darunter Tonkunst. Hochgeschätzt unter Kunstliebhabern der ganzen Welt ist der dunkelhäutige Antonio Francisco Lisboa, genannt Aleijadinho, wichtigster Bildhauer des brasilianischen Barock, dazu Architekt und Maler. Seine Kirchen, die zwölf Prophetenstatuen in Congonhas do Campo, seine Skulptur von Jesus, der das Kreuz trägt, zählen zu den außergewöhnlichsten, auch international bekanntesten Werken. Aber wer kennt schon den Schwarzen Estevao Silva, der zu den besten Stillebenmalern des 19. Jahrhunderts gerechnet wird? Mehrere seiner Werke, darunter Künstlerporträts und die von der Kunstkritik seinerzeit so überschwenglich gefeierten Stilleben mit tropischen Früchten wie Mangos und Jaboticabas hängen heute im Museu Afro-Brasil von São Paulo. Allem ebenbürtig, was man aus dieser Kunstepoche in europäischen Museen kennt. Zeitgenosse von Estevao Silva war Emmanuel Zamor, sein Meisterstück, die zwei an einer Hauswand lehnenden schwarzen Kinder, ist im Museu AfroBrasil ebenso zu besichtigen wie Firmino Monteiros naturalistische tropische Landschaften am Atlantik.
Im Museu AfroBrasil begegnet man ferner Schwarzenporträts des Fotografen Walter Firmo, einer Karikaturensammlung – und nicht zuletzt einem Dutzend Werken von Direktor Araújo selbst. »Weil mein Vater Goldschmied war, zur unteren Mittelschicht gehörte, konnte ich in Salvador da Bahia auf die Kunstakademie gehen, war dort der einzige Schwarze. Mit Ach und Krach hielt ich mich als Künstler, wurde in den siebziger Jahren Aktivist gegen den Rassismus, schrieb das erste Buch über sämtliche wichtigen Schwarzen in der brasilianischen Kunstgeschichte, von Musik bis Literatur, war zwei Jahre Gastprofessor an der Kunstakademie von New York.«
Sein Künstlerkollege Mauricio Pestana, Leiter der einzigen nationalen Schwarzenzeitschrift, meint: »Brasilien ist das rassistischste Land der Erde – überall auf der Welt haben die Strategien des Rassismus nicht funktioniert, zum Beispiel in Südafrika, den USA oder Teilen Europas. Hier in Brasilien hat es geklappt, wirkt die rassistische Maschinerie seit jeher sehr intelligent.«
Araújo stimmt Pestana zwar zu, hält jedoch nichts von Idealisierungen und politischer Korrektheit. So erinnert er daran, daß bedeutende Sklavenhändler Schwarze waren. Und daß schwarze Sklaven, die freikommen konnten, in Brasilien sofort Sklaven kauften, mit ihren eigenen Brüdern handelten. Bei einem großen Sklavenaufstand in Bahia wurden die Revoltierenden durchweg von Sklaven, die feindlichen Stämmen und Völkern angehörten, denunziert. Derartiges wirke sich bis heute aus. »Interessant ist, daß sich die Schwarzen hier in den Sambaschulen organisieren oder in Fußball-Fanclubs – aber eben nicht in der Kunst. Ich kann nicht sagen, warum. Und die Schwarzen organisieren sich auch nicht effizient, um soziale Forderungen zu stellen. Dabei haben wir in Brasilien immerhin etwa sechzig Prozent Dunkelhäutige.«
Araújos teils monumentale, über drei Meter hohe Skulpturen, bevorzugt in rot und schwarz, gehören inzwischen zum Stadtbild São Paulos, seine Reliefs sind Blickfang an modernen Gebäuden. Araújo nennt sich selbst einen »Filho de Ogum«, einen Anhänger der afrikanischen Gottheit Ogum – und solche Personen gelten als kohärent, couragiert, impulsiv, streitbar, hartnäckig, neugierig und jeder Routine abhold.
So einer wie Araújo bringt es daher fertig, als frischgebackener Kulturstaatssekretär São Paulos 2005 nach nur zwei Monaten dem Präfekten in einem offenen Brief, unzufrieden mit armseligem Etat und oktroyierter Elite-Kultur, seine Entlassung vor die Füße zu werfen. Und mit »Filho de Ogum« zu unterschreiben. So einer stürzt nicht ab, sondern hat noch viel vor. »Für die Schwarzen muß dieses Museum ein Spiegel werden, in dem sie sich betrachten, sich mit schwarzer Kultur und Geschichte, mit allen schwarzen Künstlern, allen schwarzen Persönlichkeiten identifizieren können, die für Brasilien sehr wichtig waren. Dieses Museum will die Suche nach Selbstwertgefühl, nach schwarzem Selbstbewußtsein fördern.«
Schlagwörter: Emanoel Araújo, Klaus Hart, Museu AfroBrasil, São Paulo