Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 30. März 2009, Heft 7

Ist Dummheit Pflicht?

von Wolfgang Sabath

Das zuerst: Dummheit hat keine feste Farbe. Sie kann schwarz, gelb, tiefrot, rot, rosa oder grün sein. Auch Farbmischungen sind nicht selten, und auch farblos kann sie sein, die Dummheit. Was aber alles nicht zwangsläufig bedeuten muß, daß wir uns nicht gern auf eine Farbe festlegten, so sind wir eben; es funktioniert nach dem Prinzip: Dumm ist immer der andere.

Aber wir wollen jetzt einmal nicht über Gregor Gysis in der medienkritischen NDR-Sendung ZAPP dokumentiertes Mittun bei der Werbeaktion für eine Crime- und Sperma-Politpostille befinden, dazu fällt uns außer »Lieber schlecht vorkommen als gar nicht vorkommen« sowieso nichts ein. Also reden wir über andere aktuelle Erscheinungsformen von Dummheit – die ja nun erwiesenermaßen wirklich nicht wehtut, denn sonst müßte alle Welt ja mit Ohrstöpseln herumlaufen, anders wäre das Wehgeschrei nicht auszuhalten. Die Auswahl fällt bei dem Überangebot auch an veröffentlichter Dummheit natürlich nicht leicht. Ja, das Angebot ist dermaßen reichhaltig, daß man meinen könnte, Dummheit sei Pflicht. Und dabei berücksichtigt das Angebot noch nicht einmal unsere eigene … Bertrand Russell kam einst zu dem Schluß, angesichts der »großen Auswahl« sollte man »eigentlich im Leben niemals die gleiche Dummheit zweimal machen«; nun gut, auch Philosophen irren …

Öffentliche Dummheiten können zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich ausgeprägt sein. Dieses sogenannte Gedenkjahr 2009 (seine ersten Monate deuteten schon darauf hin) wird an seinem Ende mit besonders vielen Dummheiten vielfältigster Art bepflastert worden sein. Und wieder werden die Ideologen eigentlich konträrer versuchen, sich mit Dummheiten zu übertreffen und sich dergestalt trefflich zu ergänzen. Obwohl sie in der Regel so tun, als ob siesich nicht zur Kenntnis nähmen oder ihre jeweiligen Äußerungen nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun hätten. Hach, und wie sie haben!

Jüngst luden die Berliner GRÜNEN in Abgeordnetenhaus ein, der Titel der Veranstaltung »Literatur als Kampfmittel des Sozialismus?!« Es darf wohl auch ohne Kenntnis Bündnisgrüner Interna davon ausgegangen werden, daß die Erfinder dieser als Tribunal angelegten Debatte im Vorfeld insbesondere stolz darauf gewesen sein werden, daß ihnen im Titel die Kombination von Frage- und Ausrufezeichen eingefallen war. Geschenkt. Warum auf dem Podium Ines Geipel und Erich Loest Platz genommen hatten, ist nicht unerklärbar, beide erfüllten vollauf die Erwartungen der Veranstalter. Christoph Hein hielt sich, wollen wir Presseberichten glauben, weitgehend zurück, er mag geahnt haben, was da – wieder mal … – passieren würde. In einer Zeitung hieß es, er habe »vielsagend« geschwiegen.

So mußte denn Elmar Faber, einst Chef des Aufbau-Verlages, den Hauptbuhmann abgeben und seinen Buckel hinhalten. Und wie sah es mit Dummheiten aus? Auf diese mußte nicht verzichtet werden, die waren garantiert – denn der einstige Bundestagsabgeordnete Schulz-Pankow befand sich im Saale. Auf den ist Verlaß. An diesem Tage nun trug er sich mit folgendem Satz – gerichtet an Elmar Faber – in die Annalen ein: »Sie haben Linien-Literatur herausgegeben.«

In der gleichen Woche, als die Welt davon in Kenntnis gesetzt wurde, waren auch Schulzens Entsprecher nicht faul, obwohl sie mit dem Handicap auskommen müssen, daß die Welt an ihren Ansichten weniger teilnimmt. So gesehen, darf davon ausgegangen werden, daß wir – sozusagen – eine Chronistenpflicht erfüllen. Schulzens Antipoden äußern sich vorwiegend in dem von einstigen Reisekadern herausgegebenen Periodikum Rotfuchs. Dort fand sich letztens eine Art Gerichtsbericht aus Pirna, über den Schulz & Gen. hocherfreut sein können: Vor 25 Jahren hatte ein heute 64jähriger mit einem selbstgebastelten Flugzeug die DDR verlassen wollen, war vorher geschnappt worden, Gefängnis, Freikauf; später machte er die IMs ausfindig und versuchte sie zu erpressen, deshalb der Prozeß. Die »Rotfuchs«-Autoren aus Dresden versehen ihre Geschichte unter anderem mit solchen Vokabeln beziehungsweise (Ver-)Satzstücken (Hervorhebungen – W. S.):

»Der zuständigen Bezirksverwaltung des MfS Dresden wurde bekannt; 1984 erfolgte aus der Haft seine Übersiedlung in die BRD; Es ist anzunehmen, daß Schlosser nun seine Hetze gegen die DDR noch steigern wird; Durch sein Herumgereichtwerden an Schulen …; angebliche Geruchskonserve; vermeintliche Haftschäden. Was die Zeugen betrifft, nur soviel: Beide waren DDR-Bürger, die auf der Grundlage der Verfassung und der Gesetze der DDR gehandelt haben. Im Paragraphen 225 des Strafgesetzbuches der DDR heißt es: Wer von Vorhaben, Vorbereitungen oder Ausführungen eines Verbrechens glaubwürdig Kenntnis erhält, hat unverzüglich Anzeige bei den Sicherheitsorganen zu erstatten. Unterlassung ist strafbar. Im dargestellten Fall ging es nicht nur um ungesetzliches Verlassen der DDR, sondern auch um Gefährdung der Luftsicherheit.« Da könnte man glatt ein Schulz werden.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Dummheit ist mitnichten Pflicht, aber sie ist vermutlich unabdingbares Menschenrecht. Wir müssen uns wohl in dieser Hinsicht an Mark Twain halten: »Das Recht auf Dummheit gehört zur Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit.«