von Paul Lerner
Erinnern wir uns: Die PDS hatte mit Pauken und Trompeten die Bundestagswahl 2002 verloren. Die vier Spitzenkandidaten hatten es nicht einmal vermocht, gleichzeitig in die Kamera zu lächeln, um ein Werbebild zu produzieren. Die Botschaft war klar: Das Projekt war am Ende. Dann kam die Europawahl 2004. Um nicht vollends zu scheitern, mußte die Fünfprozenthürde genommen werden. Zu diesem Zwecke wurden andere Gesichter gesucht, und es fanden sich Sarah Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform und der damals parteilose Tobias Pflüger aus der Friedensbewegung. Im letzten Moment zuckte der damalige Parteivorstand zurück und wollte die beiden auf hintere Listenplätze schieben, während auf die vorderen Kandidaten gesetzt werden sollten, die von der regierungssozialistischen Gruppierung für Gewährsleute gehalten wurden. Der Parteitag war klüger, die beiden kamen auf vordere Listenplätze, die PDS erhielt 6,1 Prozent und konnte sieben Abgeordnete in das Europäische Parlament entsenden.
Dann kamen Schröders Politik der Agenda und von Hartz IV, die Erosion der Sozialdemokratie und die Neuwahlen zum Bundestag 2005. Es entstand ein politischer Sog auf der Linken, der dazu führte, daß die Partei DIE LINKE entstand, Oskar Lafontaine an Bord kam und eine starke Fraktion in den Bundestag einzog. So viel zur Geschichte. Bei den »Reformern« rief das alles jedoch ein tiefes Mißtrauen hervor. Sie wußten, die »Westausdehnung« der PDS war gescheitert, ohne die neuen Genossen im Westen und ohne Lafontaine gab es keine Perspektive, doch sie wollten die Einflußpositionen, die sie sich im Laufe der Zeit im Osten zugeeignet hatten, nicht aufgeben. So wurde denn, als die vereinigte Partei geschaffen wurde, sogleich die eigene Einwirkungsstruktur gebildet, das »Forum demokratischer Sozialisten« (FDS). Es sollte alles nach neuer Partei aussehen, aber man wollte es in der Hand behalten. Fein war es ausgetüftelt. Etliche Landesvorsitzende aus dem Osten waren dabei, dieser und jener Abgeordnete, Kommunalpolitiker. Zum Sprecher wurde Stefan Liebich gemacht, der für die Gesichtslosigkeit der Berliner Senats-PDS in der ersten Wahlperiode verantwortlich und dann nicht einmal hier in einer Spitzenposition haltbar war.
Nun rückten die Wahlen des Jahres 2009 näher, zunächst die Europawahl, im Herbst dann die Bundestagswahl. In der Auseinandersetzung um das Europawahlprogramm hantierte das FDS mit dem harschen Vorwurf, die vorliegenden Entwürfe seien »europafeindlich«, was immer das sein mag. Es wurde wieder erzählt, es wäre doch eigentlich besser gewesen, wenn man die EU-Verfassung nicht so ganz abgelehnt hätte, und der Lissabon-Vertrag – die alte Verfassung im neuen Gewand – hätte ja auch sein Gutes. Zur Sache, zu den Inhalten wurde wenig Substantielles beigetragen, nur immer mal wieder die angebliche »Europafeindlichkeit« der anderen kolportiert. Namen wurden gestreut, wer unbedingt in das Europäische Parlament einziehen müsse.
Der Parteivorstand, dann der Bundesausschuß hatte eine Vorschlagsliste für den Europaparteitag präsentiert, auf dem die Kandidaten standen, auf einer Apothekerwaage austariert nach Männlein und Weiblein, Ost und West, früher PDS oder WASG und nach den verschiedenen Strömungen. Auf den Plätzen eins bis neun folgte, der Parteitag am 1. März in Essen jenem Vorschlag, danach rüttelte es sich anders zusammen. Das genauer anzuschauen, ist durchaus aufschlußreich. Zunächst hatte Sylvia-Yvonne Kaufmann sich einklinken wollen. Hier ist noch eine Erinnerung angesagt: 2004 war sie als Spitzenkandidatin in die Wahl gezogen auf der Grundlage eines Wahlprogramms, das die EU-Verfassung ablehnte, und buchstäblich einen Tag nach der Wahl erklärte sie, die PDS müsse nun diese Position ändern und der Verfassung zustimmen.
Der Punkt war nicht, daß sie für die Verfassung war, sondern daß sie das auf dem damaligen Nominierungsparteitag verschwiegen hatte. In den Augen nicht nur der eigenen Leute war das der Bruch eines Wahlversprechens. Nun drängte sie wieder auf die Liste. Zunächst trat sie für Listenplatz 7 gegen Sabine Lösing an, die eine »Westkandidatin« war, und verstieß damit gegen den allgemeinen Wunsch, den Konsens der Apothekerwaage nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Lösing erhielt 270 Stimmen, Kaufmann 162. Dann kandidierte sie auf Platz 9 gegen Martina Michels und versuchte hier im eigenen Lager zu wildern; nun erhielt sie nur 102 Stimmen, Michels wurde mit 234 gewählt. Auf Platz 13 versuchte sie erneut eine Kampfkandidatur und verlor die Stichwahl mit 205 Stimmen gegen Ruth Firmenich mit 243 Stimmen. Bei einer ähnlichen Kampfkandidatur verlor André Brie in der Stichwahl um Platz 12 gegen den jungen Sascha Wagener mit 170 Stimmen gegen 283. Bei der Stichwahl um Platz 14 verlor Dominic Heilig, der Liebichs öffentlich erklärter Lieblingskandidat flur das Europäische Parlament war, mit 200 Stimmen gegen Wilfried Telkämper, einen früheren Europaabgeordneten der Grünen, der 245 Stimmen erhielt.
Genug dieser Zahlen. Wichtig ist hier etwas anderes. An den Abstimmungen nahmen zwischen 450 und 470 Delegierte teil, 60 Prozent der Delegierten kamen – nach dem Delegiertenschlüssel, der den aktuellen Mitgliedszahlen in den Landesverbänden folgt – aus dem Osten. Dennoch kamen die Kandidaten, die offensichtlich die des FDS waren oder von ihm unterstützt wurden, meist nur auf 160 Stimmen, maximal 200. Dieses Forum ist also nicht, oder nicht mehr, in der Lage, die Partei zu kontrollieren, auch wenn seine Leute noch über starke Positionen in verschiedenen Landesverbänden, vor allem des Ostens verfügen. Inhaltlich und konzeptionell hat diese Fraktion – trotz vorhandener Kapazitäten – ohnehin nicht die Kraft aufgebracht, zur Profilierung einer zeitgemäßen linken Partei beizutragen, nun also auch organisatorisch nicht mehr. Sie hatte fast zwei Jahrzehnte nicht nur die Zeit, sondern auch eine Großorganisation zur Verfügung, um eine linkssozialistische Alternative sowohl zur machtfixierten Sozialdemokratie als auch zur kautskyanisch-leninistisch-stalinistischen Avantgarde-Orthodoxie zu entwickeln. Zu mehr als Sozialdemokratie light hat es aber nicht gereicht. Essen markiert dieses Scheitern.
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