Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 2. März 2009 , Heft 5

Die beratene Republik

von Wolfgang Sabath

Seit Wochen nun schon wird auf uns eingeplappert, wir befänden uns in einem »Superwahljahr«. Allerdings wird sich erst zeigen müssen, ob die medial so Malträtierten das auch so sehen, denn irgendwann werden sich die Parteien nicht mehr hinter hinzugewonnenen Prozenten verstecken können, irgendwann wird wohl auch in Deutschland ernsthafter über die stetig sinkende Wahlbeteiligung gesprochen werden müssen. Superwahljahr hin, Superwahljahr her. Da dürfte noch vieles unklar sein. Doch eine Spezies gehört schon jetzt – egal, wie die Ergebnisse der diversen Wahlen ausfallen werden – zu den Gewinnern: Es sind die Berater.

Mir fehlt der aussagekräftige Überblick, und ich kann aus diesem Grunde auch nicht darüber befinden, ob in anderen europäischen Ländern das Beraterwesen auch so floriert wie hierzulande. Aber sollte der Grund für das Florieren nicht allein im ungebremsten Abzockerdrang von Beraterfirmen- und -agenturen und ihrer Beschäftigten, sondern vorwiegend im intellektuellen Unvermögen der Politiker liegen, ihre Angelegenheiten zu regeln und Ideen und dergleichen zu produzieren – dann armes Deutschland.

Doch so einfach wird das wohl alles nicht sein. Wahrscheinlich haben wir es eher mit einem für beide Seiten einträglichen Zusammenspiel zu tun, das auf die einfache Formel zu bringen wäre: Ich helfe dir dabei, Minister – oder Abgeordneter oder sonstwas … – zu werden –, und du hilfst mir dabei, daß ich dir helfen darf.

Davon können dann alle gut leben, sehr gut. Beraterhonorare können immens hoch ausfallen. Wobei nicht ausgeschlossen werden darf, daß gelegentlich auch Beratungen stattfinden, die jene, die beraten werden, nichts kosten. Als Hans-Olaf Henkel, früherer Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, letztens in der Financial Times Deutschland das Gerücht dementierte, er träte im Juni bei der Europawahl für die Freien Wähler an, ließ er durchblicken, er sehe sich »eher als Berater denn als Teil eines Wahlkampfes«. Es ist mir – momentan – nicht vorstellbar, daß Henkel den Freien Wählern einen Beratervertrag über den Tisch schiebt, obwohl auch in seinen Kreisen ein kleines Zubrot bekanntlich nicht verachtet wird, siehe Klaus Zumwinkel. Aber Henkels Beratung dürfte sich wohl eher im Rahmen gönnerhafter oder jovialer oder gesinnungsverwandter Hinweise, Ratschläge und Hilfestellung bewegen.

Anders liegt der Fall bei SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier. Der muß jetzt als Kandidat Volksverbundenheit lernen und wird deshalb laufend nach Brandenburg/Havel geschickt. Dort ist sein Wahlkreis. Und wenn man sieht, was der arme Mann dort alles sagen und tun muß, mit wem er reden und wessen Hände er schütteln muß, wozu er alles eine Meinung haben soll – Peinlichkeit auf Peinlichkeit. Da ist für uns als Zuschauer eins um andere mal »Fremdschämen« angesagt. Wenn ich Steinmeier auf Volkstour in Brandenburg sehe, erinnere ich mich immer an meinen Philosophieprofessor Heinnrich T., den wir aus den Vorlesungen nur mit Fliege kannten (die zu ihm paßte!), und der sich ein kariertes Baumwollhemd antat, wenn er uns Studenten in den Elekro Apparate Werken Berlin-Treptow besuchen kam, wo wir am Fließband Arbeiterklasse auf Zeit lernen sollten. So ähnlich wie jetzt fortwährend Frank-Walter Steinmeier in Brandenburg Brandenburg lernen soll.

Seine Berater sind offenbar ihr Geld wert, und sie fühlen sich verpflichtet, sich ständig Neues auszudenken. Das steht vermutlich sogar im Vertrag. Jetzt nun fiel ihnen ein, ihrem Kunden zu empfehlen, auf seinen Zweitvornamen zu verzichten – ab sofort sollen wir es also nur noch mit Frank Steinmeier zu tun haben. Dadurch soll er, schrieben Zeitungen, dem Wahlvolk zugänglicher gemacht werden.

Das glauben mit Sicherheit nicht einmal die, die sich das ausdachten. Die tun garantiert nur so. Und alle tun mit.

Zwar ist – entgegen sich immer mehr verbreitender Auffassung – das Internet kein Beweis, aber als Indiz mag es durchaus taugen. Unter dem – zugegeben groben – Stichwort »Politikberatung« gibt es immerhin 163000 google-Treffer. Hinter dieser Zahl stecken viele, viele »Einzelkämpfer«, deren auf ihren Websites angebotenen Leistungen und die auf den Sites veröffentlichten Lebensläufe und Berufsstationen darauf hindeuten, wie zahlreich sich studierte Kommunikations- und Medienleute beratend durchzuschlagen versuchen. Es finden sich jedoch auch welche, die Erfolgsbiographien ahnen lassen.

Zu diesen Erfolgreichen gehören auch die, die in Ministerien und Parteivorständen ein- und ausgehen. Wir erinnern uns an den Vorfall, der vor längerem ein kurzzeitiges Skandälchen auslöste, als bekannt wurde, daß in manchen Ministerien Lobbyisten sogar einen Schreibtisch hätten … Der Berufsverband der Politikberater ist die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (degepol). Sie besteht seit 2002. Da dem Wort »Lobbyist« in Deutschland ein Hautgout anhaftet, kommt diese Vokabel in Reden und Veröffentlichungen der degepol-Vertretern relativ selten vor, und wenn, dann in etwas abgewandelter Form. Es wird lieber von Interessen geredet; im Ergebnis kommt das zwar auf das gleiche raus, hört sich aber – jedenfalls in Deutschland – besser an. Dazu beispielhaft Dominik Meier, Vorsitzender der degepol: »Politiker und Parteien öffnen sich zunehmend für externe Beratungskompetenz, aber auch Unternehmen und Verbände sind an strategischer Politikberatung interessiert, um sich und ihre Interessen besser vermitteln zu können. Politikberater sind erst einmal Mittler zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Die traditionelle Unterscheidung zwischen ›wissenschaftlicher‹ und ›praktischer (lobbyistischer)‹ Politikberatung läßt sich nicht mehr halten. Politikberatung ist letztlich Interessenvertretung. Politikberatung bezeichnet die Beratung von Entscheidungsträgern, die politisch legitimierte Macht ausüben. Egal ob Wissenschaftler oder politische Kampagnenexperten beraten, sie beraten, um zu beeinflussen.« An anderer Stelle verlautbart die Beratervereinigung, es zeichne sich »immer deutlicher eine Nachfrage nach einem individuellen Lobbying ab, was die Nachfrage nach externer Politikberatung steigen« lasse. Diesem Sog kann sich scheinbar keine politische Farbe entziehen, im Dezember vorigen Jahres war beispielsweise Gregor Gysi zu Gast bei der degepol.

Und weil die Lage so ist, wie sie ist, muß Steinmeier jetzt Frank genannt werden. Die beratene Republik eben.