Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 5. Januar 2009, Heft 1

Marx, karikiert

von Rolf Hecker und Hans Hübner

Am 22. November 2005 fragte am Rande einer Konferenz zur Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) in einer malerisch am Biwa-See gelegenen Ausbildungsstätte einer Kiotoer Universität Kollege Shunichi Kubo, ob es eine Publikation mit Marx-Karikaturen gäbe. Diese Frage löste eine Kettenreaktion aus: Ich (erster Autor) erkundigte mich in Berlin bei Freunden und Kollegen, ob jemand systematisch Marx-Karikaturen sammeln würde. Anfang 2006 stieß ich auf den Koautor (Hans Hübner), und damit hatte sich ein Herausgeberteam gefunden. Es folgten zwei Jahre intensiver Sammeltätigkeit. Dabei wurden private Sammler angesprochen, Archive und Bibliotheken in Moskau, Kopenhagen, Amsterdam und Berlin konsultiert. Wir wählten für das Buch aus fast 1500 Arbeiten 600 Blätter mit satirischen Marx-Darstellungen aus. Die Karikaturen kommen aus vielen Ländern Europas, aber auch aus Lateinamerika und Asien. Naturgemäß gibt es in diesem Band zwei Drittel deutsche Arbeiten: Vierzig Zeichnungen vorwiegend aus sozialdemokratischen Satire-Zeitschriften wie »Der süddeutsche Postillion« und »Der wahre Jacob« stammen aus der Zeit vor 1933, 145 aus der Bundesrepublik seit 1949, und 120 sind in der DDR entstanden. Seit 1990 sind schon wieder weit über hundert dazugekommen.

Im Band »Grüß Gott! Da bin ich wieder! Karl Marx in der Karikatur« sind nicht nur eine Reihe Zeichnungen von Harald Kretzschmar enthalten; er steuerte auch einen einführenden Essay »Seht mal an – welch ein Mensch« bei. Darin nahm er sich den Chemnitzer »Nischel« vor, den er mit Lew Kerbel 1972 das erste Mal zeichnete: »Man unterschätze nicht den Verfremdungseffekt solcher Vorgänge. Name ist Schall und Rauch. Geist aber hat weiterhin Körper.« Man spürte dies am 5. Mai zu Marx’ 190. Geburtstag, als eine Chemnitzer Initiative am Fuße des Denkmals einen Event veranstaltete: Einen Tag lasen Prominente und Nicht-Prominente, Chemnitzer und Nicht-Chemnitzer, Texte von Marx und über ihn.

Im Eulenspiegel-Verlag fanden wir mit unserer Idee großen Zuspruch und mit Dorothea Oehme eine tatkräftige Lektorin. Anfang Februar 2008 hielten wir die ersten druckfrischen Exemplare in den Händen. Die Einbandgestaltung erfolgte unter Verwendung eines Motivs von Reiner Schwalme; die Buchgestaltung von www.buchgestalter.net. Die Premiere erlebte das Buch auf der Leipziger Buchmesse am 14. März, dem 125. Todestag von Marx. Zunächst eröffneten wir mit einer Lesung eine kleine Ausstellung in der Galerie VORORTOST, die sich in der ehemaligen Lenin-Gedenkstätte – an die sich heute niemand mehr erinnern kann – befindet. Publikumswirksam war der Messestand des Eulenspiegel Verlags mit einer fünf Meter langen Ausstellungswand erweitert worden, auf der dreißig Karikaturen die Besucher anlockten. Verlagschef Matthias Oehme verteilte eigenhändig 5000 großformatige Werbetaschen mit dem Aufdruck »Humor ist unser Kapital« und dem Marx vom Titelblatt des Buches. In der »Leipziger Volkszeitung« hieß es dazu: »Mit Marx ist heute ganz gut Geld zu verdienen, sind die Eulenspiegler überzeugt und vertrauen Freund und Kollegen Friedrich Engels, der einst in seiner Grabrede sagte: ›Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortwirken.‹« Hans-Dieter Schütt fand in seinem Messebericht im »Neuen Deutschland« die Schlußsequenz: »Einige ›Mangas‹ trugen die begehrten Eulenspiegelverlags-Tüten mit dem grüßenden Marx. Comic und Kommunismus, das ist wie Schwarz-Grün. Oder wie SPD und Linksruck. Ein Lob des Unvereinbaren.«

Damit begann ein Buch in die Öffentlichkeit zu treten, das wegen des ungewöhnlichen Umgangs mit Marx – ungezwungen und auf satirische Weise – vor allem in Ostdeutschland Aufsehen erregte. Selbst das lokale Wochenblatt »Pasewalk aktuell« hob hervor, daß mit dem Buch ein »amüsantes Kompendium historischer Bildung« entstand. Die »Lausitzer Rundschau« fand die Überschrift »(Kein) Gottesdienst für Marx«! Und der Autor Klaus Wilke schließt, daß »Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung … die wunderbare Atmosphäre guter Unterhaltung aus(strahlen)«. »Der Dickschädel hält sich trotzdem hartnäckig auf allen Satireseiten, egal ob es sich um Kapitalismuskritik oder Geld, um Emanzipation oder Nachhaltigkeit dreht.« So Doris Weilandt in der Suhler Zeitung »Freies Wort«.

Es gab auch eine Nebeneffekt des Bandes: Mehr oder weniger theoretische Beiträge, die sich Marx widmeten, wurden mit Karikaturen aus dem Band illustriert, zum Beispiel in der »Augsburger Allgemeinen« unter dem Titel »Ochsenkopf von Ideen« von Günter Ott; in der »Sächsischen Zeitung« resümierte Bettina Schmidt unter der Überschrift »Schwarzbart aus London«, »wie Kinder in der DDR Karl Marx lasen – und was sie später von seinen Texten hielten«. Dazu wurde der bekannte Marx mit roter Weste von Roland Beier »Tut mir leid Jungs! War halt nur so eine Idee von mir…« gedruckt, der den Zeichner weltberühmt gemacht hat.

Die Herausgeber erreichten auch einige E-Mails von Freunden aus aller Welt. Und das Buch zeigte Wirkung im Kulturradio des Mitteldeutschen Rundfunks. Den Hörern wurde nach einem Hit der Beatles von Barbara Friederici folgende Aufgabe gestellt: »In unserer aktuellen Rätselnuß geht es nicht um die Beatles – oder doch? Aufmerksam auf die vier Jungen kann man in diesen Tagen im Zusammenhang mit einem Herrn werden, der am 5. Mai seinen 190. Geburtstag ›feiern läßt‹: Karl Marx. … Welchen Zusammenhang gibt es also zwischen Karl Marx und den Beatles?« Zu gewinnen war ein Marx-Karikaturen-Buch (Auflösung darin S. 57). Radioeins des rbb berichtete über das »Aha-Erlebnis« beim Lesen des Buches; in der ARD-Tagesschau wurde in einem kurzen Bericht zu Marx’ 190. Geburtstag das Buch in die Kamera gehalten; für das Kulturradio des rbb führte Andreas Knaesche ein Interview mit mir, wobei seine erste Frage lautete: »War Marx überhaupt weg?« – eine Steilvorlage, die Aktualität von Marx zu erläutern.

Wir konnten auf vielen Veranstaltungen, ob in Chemnitz, Bernau, Schwerin, Belzig und Dortmund oder auf dem Fest der Linken und auf dem Solibasar auf dem Berliner Alex, die unterschiedlichsten Reaktionen hören: »Über Marx macht man keine Witze!« (Teilnehmer des Strausberger Friedensfestes). Glücklicherweise überwiegt die Wertschätzung! Das verspürten wir bei einer stark besuchten Lesung im Eulenspiegel-Café »Tapas y mas« in Berlin. Dafür hatte nicht nur »Neues Deutschland«, sondern vor allem die »Berliner Zeitung« geworben. Die Feuilleton-Redakteurin dieser Zeitung Abini Zöllner fragte »Haben wir Marx immer zu ernst genommen?« und antwortete wie folgt: »Sagen wir so: Wenn auch das Experiment Marxistischer Sozialismus nicht gelungen ist, so gelang doch immerhin dieses Buch-Experiment. Selten sah man Marx so ironisch.« Ihr treffender Beitrag war illustriert mit der schönen Zeichnung von Manfred Bofinger »Handtuch aus der roten Ecke« (1991), wo Micky Maus (2008 80 Jahre) Marx (2008 190 Jahre) k.o. schlägt!

Seit dem Frühjahr entwickelt sich eine globale Finanzkrise, die nicht ohne Auswirkungen auf die Karikaturisten blieb. Schon im Sommer schrieb in der »Financial Times Deutschland« Willy Theobald: »Aktuell feiert Marx Erfolge als mehr oder minder dankbares Opfer diverser Karikaturisten. In dem schön aufgemachten Bildband ›Grüß Gott! … sind 600 Zeichnungen aus mehreren Jahrhunderten [!] über den promovierten Philosophen und Verfasser des Kommunistischen Manifests gesammelt. Nicht nur für Menschen, die sich an frühe ›Kapital‹-Schulungen erinnern können, ein unterhaltsames Buch.« Aber seit Oktober 2008 wird Marx immer mehr salonfähig, auch in der Finanzwelt – »Das Kapital« ist »in«. Marx erscheint auf den Titelseiten einiger Blätter, zum Beispiel der »Frankfurter Rundschau«, der »Lausitzer Rundschau« – aber auch in der DKP-Zeitung »Unsere Zeit« wird die Überschrift »Die Krise hat einen Namen: Kapitalismus« mit einer Zeichnung von Bernd Bücking illustriert, die einen mit erhobener Faust zur Tür hineinkommenden Marx zeigt, der das bekannte »Grüß Gott – da bin ich wieder« ausruft.

Auch in Nordeuropa werden die Leser nach längerem Totschweigen mit Marx konfrontiert: in der Kopenhagener »Politiken« wird Marx in einer Karikatur von Anne-Marie Steen Petersen als Berater in den Kreis von Merkel, Brown, Bush und Sarkozy aufgenommen, in der Helsinkier »Kansan Uutiset« kommt er jugendlich gezeichnet mit Skatbord und Basecup einher.

Und nun sitzen wir im Flugzeug nach Tokio und lassen diese Ereignisse des letzten Jahres Revue passieren und sehen erwartungsvoll der Begegnung mit dem japanischen Publikum entgegen.