von Ulrike Köpp
Im Sommer 1999 brachte der Tagesspiegel eine dpa-Meldung aus Rostock: »Am Strand ist die Nation gespalten. Ostdeutsche wollen sich das Nacktbaden nicht von Westlern verbieten lassen.« Die Nackten seien an den Stränden der Ostsee wieder auf dem Vormarsch, und zwar so zwanglos gemischt wie zu DDR-Zeiten. Daran störten sich nur die Westdeutschen. Und ein Psychologe meinte in der Bild-»Zeitung«, im Nacktbaden äußere sich der Drang, Aufsehen zu erregen. Worüber nun Kurdirektoren und ihre ostdeutschen Badegäste wieder nur den Kopf schütteln könnten.
Ein Werner Hinz – Hinz wie Kunz – aus Bergisch Gladbach reagierte auf diese kurze Meldung mit einem Leserbrief, den hier zu zitieren es wert ist. Er schrieb: »Bei dem nackten Touristenauftrieb dürfte es sich früher wohl um die pfiffige kommunistische Idee gehandelt haben, den damaligen Einwohnern ostdeutscher Gebiete (sic! – U.K.) ohne Worte beizubringen, daß das Regime bereits sein letztes Hemd verspielt habe. Dem Volk ist das leider nicht aufgegangen. Wenn nun viele meinen, damit immer noch eine ihrer damaligen Freiheiten zeigen zu müssen, zeigt das, wie wenig sicher man sich seiner vielen heutigen Freiheiten fühlt.«
Abschließend plädierte der Mann aus der westdeutschen Provinz dafür, die Nacktbadenden mit Bußgeldern zu verfolgen. Soviel zur Freiheit. Dummheit und Arroganz dieser Äußerung sind wohl schwerlich zu überbieten. Aber vor allem belegt sie, wie sehr wir Menschen von und mit Bildern leben, mit Bildern und Zuschreibungen, die andere sich und wir uns selber von uns machen.
Es versteht sich, daß die Ostdeutschen sich wehren gegen derartige Zuschreibungen von Westdeutschen. So gerade wieder mit Bildern vom FKK in der DDR, die der Eulenspiegel-Verlag aufgelegt hat.
Das Buch kommt wie ein Familienalbum daher, mit Fotos von Sommer. Sonne. Nackedeis, von unbeschwerten Ferientagen, wie sie ein jeder von uns kennt. Der ostdeutsche Volksstamm vergewissert sich kultureller Praktiken, die man ihm streitig machen will. Und er tut dies mit einer gewissen Gelassenheit und mit der Freundlichkeit, wie man sie von Hans-Joachim Wolle und seiner Kult-TV-Sendung Außenseiter Spitzenreiter kennt. Wolle gehört natürlich mit in dieses Familien-Album.
Man kann wieder sehen und staunen: Es gibt nichts Unschuldigeres als das Nacktbaden, sich nackt sonnen, bewegen und spielen am Strand. Wir erkennen uns wieder auf diesen Fotos.
Der Historiker mag vielleicht die originalen Bildunterschriften aus den Familienalben vermissen. Ganz nach deren Muster aber macht die Publikation zu den Fotos handschriftliche Kommentare aus heutiger Perspektive. Und die richten sich denn auch hin und wieder ganz dezidiert an den Bildbetrachter aus dem Westen – aber immer mit heiterer Leichtigkeit und nicht ohne Selbstironie, im Grunde genau so, wie man sich gern von der DDR verabschiedet hätte.
Im übrigen verdanken sich die hier versammelten privaten Fotos einem Aufruf in der Bild-Zeitung. Wächst da etwa zusammen, was zusammen gehört?
Thomas Kupfermann (Hrsg.): Sommer. Sonne. Nackedeis: FKK in der DDR, Eulenspiegel-Verlag Berlin 2008, 160 Seiten, 14,90 Euro
Schlagwörter: FKK, Ulrike Köpp