von Hermann-Peter Eberlein
Von Zeit zu Zeit pflegt der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland – ihr oberstes Beschlußgremium – Denkschriften zu aktuellen ethischen oder politischen Themen unters Volk zu bringen, um sich in der öffentlichen Diskussion zu positionieren. Vorbereitet werden diese Texte von Ausschüssen, in deren Zusammensetzung sich in der Regel die ganze Meinungsvielfalt innerhalb des verfaßten Protestantismus spiegelt. Trotzdem erweist sich ein solches Papier gelegentlich als wegweisend und fruchtbar; so hat etwa die Ost-Denkschrift von 1965 die Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel erheblich geholfen vorzubereiten. Auch der Friede ist immer wieder Thema derartiger kirchenamtlicher Verlautbarungen gewesen – die jüngste trägt den Titel: »Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen«. Sie freilich ist typisch für ein Produkt, das unter dem Zwang zum Konsens entstanden ist: ein in entscheidenden Punkten fauler Kompromiß. (Gütersloher Verlagshaus 128 S., 5,95 Euro)
Vier Teile umfaßt der Text; werden im ersten die bekannten Gefährdungen des Friedens in der Gegenwart benannt, widmet sich der zweite den biblischen und theologischen Grundlagen evangelischer Friedensethik. Dabei wird ehrlich eingestanden, daß Teile der Christentumsgeschichte »im Widerspruch zur Verkündigung Jesu von einer religiösen Überhöhung des Krieges gekennzeichnet und entstellt sind«. Zu den gelungensten Teilen der Schrift gehören die Konkretisierungen da, wo von den Dimensionen des gerechten Friedens gesprochen wird: Schutz vor Gewalt, Förderung der Freiheit, Abbau von Not und Anerkennung kultureller Verschiedenheit. Der Abschnitt über die Militärseelsorge hingegen wirkt wie das gefrorene Lächeln eines, der nichts sagen will: Da wird zunächst die Tatsache unkommentiert hingenommen, daß die Kirche »die Soldatinnen und Soldaten in ihrem schwierigen Dienst« auf der Grundlage des Militärseelsorge-Vertrages begleitet, um danach hilflos den Spagat zu beschwören, »daß die evangelische Soldatenseelsorge einerseits eine an Recht und Gesetz gebundene militärische Schutzaufgabe als im Grundsatz ethisch verantwortbar bejaht, sich andererseits aber keinesfalls unkritisch mit konkreten sicherheitspolitischen Vorgaben, militärstrategischen Doktrinen oder gruppenspezifischen Mentalitäten identifizieren darf«. Wie bitte soll das gelingen, wenn man, per Vertrag verpflichtet, in Afghanistan vor Soldaten predigen muß?
Der zwiespältige Eindruck bestätigt sich auch bei der Lektüre der beiden letzten Teile der Denkschrift. Da gibt es eine erhellende Analyse zur gegenwärtigen Ausprägung des Völkerrechtes zwischen reinem Staatenrecht und universalen Weltbürgerrechten. Da gibt es eine klare Ablehnung der Lehre vom gerechten Krieg und eindeutige Forderungen zur Stärkung der Vereinten Nationen, zur Rüstungskontrolle und zur Stärkung der zivilen Konfliktbearbeitung. Andererseits verheddern sich die Autoren in langen darstellenden Passagen. Dadurch bekommt das Faktische soviel normative Kraft, daß die Frage nach der Legitimität gar nicht mehr gestellt wird. Am schlimmsten ist das in dem Abschnitt über Rolle und Aufgabe der Bundeswehr, wo schlicht konstatiert wird, daß die Bundeswehr heute eine Einsatzarmee sei und daß die »Neuausrichtung der Bundeswehr vorwiegend auf Auslandseinsätze viele ernste Fragen« aufwerfe. Wie windet man sich da, um nicht aussprechen zu müssen, was offenbar Teile des Ausschusses gerne gesagt hätten, aber nicht sagen durften, nämlich daß diese Neuausrichtung grundgesetzwidrig ist: »Der Verdacht, es gehe bei Auslandseinsätzen vor allem ums ›Dabeisein‹ oder um bündniskonformes Verhalten, bzw. die Außenpolitik greife aus Ratlosigkeit zum militärischen Instrument, kann nur widerlegt werden, wenn ein klares völkerrechtliches Mandat der Vereinten Nationen vorliegt und wenn Gründe, Ziele, Aufträge sowie Erfolgsaussichten friedenspolitisch plausibel dargelegt werden.« Was noch nicht erkennbar sei, sei ein friedens- und sicherheitspolitisches Gesamtkonzept, »jedenfalls keines, in das sich militärische Mittel und die Teilnahme an Militäraktionen überzeugend einfügen«. Solche Sätze verschleiern, worum es wirklich geht: nämlich daß deutsche Soldaten im Ausland nichts zu suchen haben.
Ähnlich zwiespältig erscheint die Stellung zu Atomwaffen. Einerseits eine klare – und neue – Position: »Aus der Sicht evangelischer Friedensethik kann die Drohung mit Nuklearwaffen heute nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung betrachtet werden.« Dann aber sofort: »Es bleibt allerdings umstritten, welche politischen und strategischen Folgerungen aus dieser gemeinsam getragenen friedensethischen Einsicht zu ziehen sind.« Was folgt, ist eine unkommentierte Darstellung verschiedener Argumentationslinien.
Das mag reichen. Vieles, fast alles an dieser Denkschrift ist gut und schön. Mutig, wegweisend ist sie nicht.