Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 24. November 2008, Heft 24

Erzherzog wider Willen

von Hermann-Peter Eberlein

Auf dem Friedhof III der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde vor dem Halleschen Tor in Berlin findet sich ein Grabkreuz mit der bemerkenswerten Aufschrift Die Auferstehung erwartend ruht hier Leopold Wölfling, Erzherzog von Österreich * Salzburg 2.12.1868 + Berlin 4.7.1935. R. I. P. Der Erzherzog mit bürgerlichem Namen – wer ist das?
Leopold Ferdinand Salvator, Erzherzog von Österreich und Erbgroßherzog der Toskana, Kaiserliche und Königliche Hoheit, war der älteste Sohn des letzten regierenden Großherzogs der Toskana, Ferdinand IV., und der Alicia von Bourbon-Parma. Als die Toskana, seit dem Aussterben der Medici habsburgische Sekundogenitur, 1860 dem sich vereinenden Italien einverleibt wurde, war die Herrscherfamilie nach Salzburg geflohen, wo sie dank der Unterstützung Kaiser Franz Josephs ein standesgemäßes Leben führen konnte. So erhielt der begabte Leopold eine hervorragende Erziehung und begann eine militärische Laufbahn. Zum ersten Konflikt mit dem Kaiser kam es, als Franz Joseph Leopold die Heirat mit der Tochter des spanischen Thronfolgers, der Infantin Elvira, verbot. Während einer gemeinsamen Schiffsreise kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen dem jungen Erben der Toskana und dem österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand. Was folgte, war ein klassischer Machtkampf zwischen den Generationen: Der Kaiser schickte Leopold nach Brünn. Nicht für lange – denn Leopold hatte sich inzwischen verliebt: in Wilhelmine Adamovic, eine polizeibekannte Wiener Prostituierte. Um die beiden zu trennen, versetzte Franz Joseph den jungen Mann ins galizische Przemysl. Leopold nahm Wilhelmine als Haushälterin mit. Kaiser Franz Joseph fackelte nicht lange und ließ ihn in eine Nervenheilanstalt bei Koblenz sperren. Mit Hilfe seiner Schwester Luise gelang Leopold die Flucht in die Schweiz – Luise, mit dem sächsischen Thronfolger und späteren König Friedrich August III. verheiratet, war selbst Emigrantin auf dem Weg in die neutrale Eidgenossenschaft, hatte sie doch ein offenes Verhältnis mit dem Hauslehrer ihrer Kinder.
Ende 1902 schrieb Leopold an den Kaiser: »Ich bitte Eure Majestät, meine Stellung und Rang als Erzherzog ablegen zu dürfen und den Namen Wölfling anzunehmen.« Er trat aus dem Hause Habsburg aus und verzichtete auf die österreichische Staatsangehörigkeit. Eine Apanage verweigerte ihm der österreichische Staat; der Vater trat ein und sicherte seinem Sohn finanzielle Unterstützung auf Lebenszeit zu. Im folgenden Jahr heirateten Leopold und Wilhelmine; bald erhielten sie das schweizerische Bürgerrecht.
Zeitweise lebte das Paar in einer Aussteiger-Kolonie auf dem Monte Verità. Doch lange hielt es Leopold hier nicht aus: Er verließ die Kolonie, Wilhelmine blieb. Nach vier Jahren wurde die Ehe geschieden. Kurz darauf heiratete Leopold erneut: Maria Ritter, eine Prostituierte aus München, die er von ihrem Zuhälter freigekauft hatte. Mit ihr zog er erst nach Paris, 1912 nach Schlangenbad bei Wiesbaden. Als eine Haushälterin nicht mehr bezahlbar war, verlangte Maria von ihrem Mann, einzukaufen, zu putzen, zu kochen: Sie blieb im Bett. Leopold ging – und stürzte sich sofort in eine neues Abenteuer mit einer Prostituierten. Sein Versuch, 1914 als Soldat in das österreichische Heer einzutreten, vereitelte der Kaiser.
Das Ende der Monarchie bedeutete auch das Ende der finanziellen Absicherung. Wölfling geriet in erhebliche Schwierigkeiten. Er kehrte nach Wien zurück und betrieb ein kleines Lebensmittelgeschäft in einem der Wiener Gemeindebauten. Doch auch hiermit erlitt er Schiffbruch. Er mußte den Laden verkaufen, blieb auf einem Berg Schulden sitzen und kehrte Österreich den Rücken. In Berlin fristete er sein Dasein als Gelegenheitsarbeiter: Er versuchte sich als Türsteher, Schriftsteller (Habsburger unter sich; Als ich Erzherzog war), Schauspieler, schrieb Artikel für die Morgenpost – mit mäßigem Erfolg. Gemeinsam mit seiner dritten, über dreißig Jahre jüngeren Ehefrau Klara Hedwig Pawlowski (die nichts mit dem Rotlichtmilieu zu tun hatte) bewohnte er eine schäbige Hinterhofwohnung am heutigen Mehringdamm. Wie viele proletarisierte Kleinbürger projizierte auch der proletarisierte Fürst seine Hoffnungen auf eine bessere Zukunft auf Hitler und wandelte sich zu dessem begeisterten Anhänger. In Klaras Armen starb Leopold zwei Jahre nach der Machtübergabe; sie überlebte ihn um mehr als vierzig Jahre und wurde neben ihm begraben.
»Ein Erzherzog kann eine Privatperson sein«, hat Karl Kraus über Erzherzog Wölfling geschrieben, »aber von dem Augenblick, in dem er sich definitiv ins Privatleben zurückzieht, gehört er der Öffentlichkeit an.« Vielleicht ist das die eigentliche Tragik im Leben dieses Mannes mit dem vornehmen und ausgesprochen sympathischen Äußeren, daß er beides nicht sein konnte, was auf seinem Grabkreuz steht: weder Erzherzog noch Wölfling.