Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 27. Oktober 2008, Heft 22

Friedrich Karl Kaul

von Ralph Dobrawa

Bei der Betrachtung der zurückliegenden zweihundert Jahre fällt auf, daß immer wieder Anwälte an den Geschehnissen beteiligt waren und sie maßgeblich beeinflußten: Robespierre, Lenin, Karl Liebknecht …
Im Zeitalter des Kalten Krieges zwischen den damaligen beiden deutschen Staaten war es ohne jeden Zweifel der vor sechzig Jahren als Rechtsanwalt zugelassene Friedrich Karl Kaul, der durch seine anwaltliche Tätigkeit in besonderer Weise auf sich aufmerksam machte. In der DDR gab er Rechtsrat im Rundfunk und in einer eigenen Fernsehsendung. Für mehr als fünfzig Verfilmungen von Fernseh-Pitavalen schrieb er das Buch. In der Bundesrepublik erlangte Kaul Popularität aufgrund der Verteidigung von Mitgliedern der KPD und der FDJ, die in der Adenauer-Ära wegen ihrer politischen Überzeugung strafrechtlich verfolgt wurden. Spätestens seit dem KPD-Verbotsprozeß im Jahr 1956 hatten ihn auch die westlichen Medien zur Kenntnis genommen und berichteten fortan nahezu regelmäßig über sein Auftreten in verschiedenen Strafprozessen, die in westdeutschen Gerichtssälen stattfanden. Daß er selbst trotz seiner bürgerlichen Herkunft Kommunist war und deshalb seinen Mandanten in besonderer Weise nahestand, daraus hat er ebensowenig einen Hehl gemacht, wie er selbst als Opfer des Naziregimes auch eine moralische Berechtigung hatte, die schleppende Verfolgung von Nazigewaltverbrechern in der Bundesrepublik scharf anzuprangern. In siebzehn solcher Verfahren vor westdeutschen Gerichten wirkte er als Nebenklagevertreter mit und nahm die Interessen von Hinterbliebenen der in Konzentrationslagern Ermordeten wahr. Kaul selbst war der Höl le von Lichtenburg und Dachau mit Mühe entkommen und war nach mehrjähriger Haft unter der Bedingung entlassen worden, nach Übersee zu emigrieren.
Als er 1945 nach einer Odyssee, die ihn von Kolumbien über Panama, Nikaragua und Mexiko in die USA führte, nach Deutschland zurückkehrte, stand ihm eigentlich nicht der Sinn danach, eine anwaltliche Tätigkeit aufzunehmen. Erst als Freunde von ihm im englischen Sektor von Berlin gegen die wiederum einsetzende Gesinnungsverfolgung von Kommunisten Hilfe benötigten, entschloß er sich dazu. Friedrich Karl Kaul hatte in den Jahren 1925 bis 1929 Rechtswissenschaften in Berlin und Heidelberg studiert und 1932 promoviert. So wurde er 1948 zunächst vorläufig und einige Monate später endgültig als Rechtsanwalt zugelassen. Diese Zulassung erfolgte vor der Spaltung Berlins, so daß sie in allen vier Sektoren gültig war. Auch nach Gründung der beiden deutschen Staaten verlor sie nicht ihre Gültigkeit und bildete fortan die Grundlage dafür, daß Kaul sowohl vor westdeutschen und Westberliner Gerichten als auch vor Gerichten der DDR auftreten konnte. Von westlicher Seite ließ man nichts unversucht, um den unbequemen Anwalt loszuwerden. Es folgten unbegründete Ehrengerichtsverfahren ebenso, wie der Bundesgerichtshof 1961 zu der Auffassung gelangte, er müsse Kaul von der Verteidigung in Staatsschutzsachen ausschließen, weil er angeblich nicht die Interessen seiner Mandanten vertreten würde, sondern im Auftrag der SED in westlichen Gerichtssälen politische Propaganda betreibe. Das Bundesverfassungsgericht mußte ihm fünf Jahre später attestieren, daß dieser Ausschluß rechtswidrig war.
1948 nahm der damals schon 42jährige seine Anwaltstätigkeit in Berlin Mitte, Lothringer Straße auf, die alsbald in Wilhelm-Pieck-Straße umbenannt wurde. Im ersten Stock des Hauses mit der Nummer 11 hat Kaul in den folgenden fast 33 Jahren bis zu seinem Tod 1981 gewirkt. Zahlreiche Bücher und hunderte Aufsätze, Interviews und Berichte von und über ihn sind uns verblieben. Zwei seiner langjährigen Mitstreiter führten nach seinem Tod das Büro weiter. Der eine schied altersbedingt Anfang der neunziger Jahre aus, der andere hat im vergangenen Jahr den Ruhestand erreicht. Sechzig Jahre nach der Kanzleieröffnung befindet sich wieder eine Wohnung in den Räumlichkeiten – von denen aus nicht unwesentlich deutsch-deutsche Rechtsgeschichte geschrieben wurde.