von Jochen Mattern
Aus der Geschichte lernen – Bessere Aufklärung über die DDR an Sachsens Schulen« – so lautete der reichlich pathetische Titel einer Aktuellen Debatte jüngst im Sächsischen Landtag. Beantragt hatte sie die FDP. Ihr standen zur Behandlung einer derart komplexen Themenstellung drei Redebeiträge von jeweils fünf Minuten zur Verfügung. Allein an dem Mißverhältnis zwischen der äußerst knappen Zeit und der komplexen Materie ist zu erkennen, daß es der FDP nicht um eine ernsthafte Verständigung darüber gehen konnte, wie die DDR-Geschichte im Schulunterricht zu behandeln sei, kontrovers nämlich und in perspektivischer Vielfalt. So war denn in der Landtagsdebatte die Rede von Verklärung, Verharmlosung und Verniedlichung der DDR, gar von deren Glorifizierung im Geschichtsunterricht an den Schulen. Nach Ansicht der FDP scheinen Sachsens Schulen Horte der Reaktion zu sein, in denen die Verklärung der SED-Diktatur voranschreite und die Skepsis gegenüber der freiheitlichen Demokratie wachse. Damit müsse endlich »aufgeräumt« werden, verlangte der FDP-Redner. Die Schulen hätten endlich den »Auftrag, aus der Geschichte zu lernen«, zu erfüllen. Aufräumen und Auftrag – das sind Vokabeln, die tatsächlich im Zusammenhang mit dem Lernen aus der Geschichte gebraucht worden sind.
Daß selbst Liberale im Umgang mit der DDR auf Methoden zurückgreifen, die in der verschmähten Diktatur üblich waren, ist das Kuriose an dieser Debatte. Pflichtbesuche in Gedenkstätten und zusätzliche Stunden zur Behandlung der DDR im Unterricht fordern die Liberalen, überboten nur noch von der CDU, die die Einrichtung eines Lehrstuhls für DDR-Unrecht verlangt. Als ob es das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden und den Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin nicht gäbe. Eine Partei, die Lehrstühle einzurichten beabsichtigt, scheint nicht mehr viel von der Freiheit der Wissenschaft zu halten. Da kann der sächsische Kultusminister noch so sehr beteuern, daß die Wissenschaft frei und der Schulunterricht politisch unabhängig seien, die parteipolitische Praxis ist eine andere. Eine staatlich verordnete Sichtweise auf die DDR hat mit einer »besseren Aufklärung über die DDR« nichts zu tun.
So einseitig und oberflächlich, wie die Debatte geführt worden ist, so einseitig und oberflächlich war die Grundlage der Debatte. Eine empirische Studie vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin mußte hierfür herhalten. Die ist weder aktuell, weil schon über ein Jahr alt, noch wissenschaftlich unumstritten. Ein eigens erstelltes Gutachten zur Studie bescheinigt ihr erhebliche methodische Mängel und spricht ihr jede Repräsentativität ab. Doch Kritik an der Studie ignorieren die erklärten Kämpfer für ein politisch korrektes Bild von der DDR ebenso wie die Tatsache, daß die sächsischen Schüler in der Studie gar nicht vorkommen. Über deren Geschichtskenntnisse enthält die Studie keinerlei Befund. Dennoch ergehen sich die Politiker von FDP und CDU öffentlich in wilden Spekulationen darüber, wie schlecht der Geschichtsunterricht an den sächsischen Schulen sei, um nach Konsequenzen aus den eigenen Spekulationen rufen zu können.
Den Lehrern hierzulande kann man deshalb nur empfehlen, sich nicht von Parteipolitikern vorschreiben zu lassen, wie sie Geschichte zu unterrichten haben. Das gab es schon einmal und ging gründlich schief. Lehrer haben – das macht die Besonderheit des Berufes aus – eine doppelte Qualifikation, eine pädagogische und eine fachliche. Als Fachlehrer wissen sie besser als Parteipolitiker, wie Fachwissen zu vermitteln ist. Sie orientieren sich dabei an der einschlägigen Fachwissenschaft, in dem Fall an der zeitgeschichtlichen Forschung über die DDR. Deren Forschungsergebnisse ergeben ein weitaus differenzierteres Bild von der DDR als das biographische Geschichtsverständnis sächsischer Politiker. Über deren Schwarz-weiß-Malerei der DDR ist die zeitgeschichtliche Forschung längst hinweggeschritten.
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