von Gerd Kaiser
Es gehört zum Anliegen des Christoph Links Verlags, der seinen Sitz dort hat, wo Berlin am berlinischsten ist, im alten Prenzlauer Berg, seiner wachsenden Leserschar nicht nur den Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des eigenen Landes zu öffnen, sondern auch den Blick für Nachbarländer im Osten Europas zu weiten.
Reinhold Vetter hat als Journalist knapp zwei Jahrzehnte lang aus und über Polen berichtet. Sein Polenbild im vorliegenden Band zeugt von Landeskenntnis. Er schreibt sachkundig und schnörkellos: über die Jahre der »Doppelherrschaft« der Kaczynski-Zwillinge, von der seit Herbst 2007 Lech Kaczynski geblieben ist. Wie lange noch, wird sich erweisen. Das Büchlein legt jedoch nicht nur die Ergebnisse der politischen »Zwillingsforschung« des Verfassers vor, denen nach seiner Ansicht eine schmerzhafte Lektion erteilt wurde. Es geht nicht nur um deren politischen Werdegang und um deren fundamentalistisch-ideologische Verhaltensweisen, sondern Vetter spürt auch den historischen und gesellschaftlichen Ursachen für ihre Machtübernahme 2005 und dem schnellen politischen Absturz des Bruders Jaroslaw im Herbst 2007 nach. Einschließlich der Tatsache, daß die beiden uneinsichtige Verlierer sind. Vetter bleibt nicht bei der innen- wie außenpolitischen Schadensbilanz der Zwillings-Politik, sondern bietet auch Ansatzpunkte für Antworten auf die Frage an, wohin Polen in naher Zukunft steuern könnte.
Dieses schlüssige Konzept arbeitet er an Hand klar gegliederter Problembündel ab, unter anderem zur konfrontativen Außenpolitik Polens, die der Staatspräsident weiterzuführen sucht. Vetter hat dafür bildhafte Formeln gefunden: Europapolitik ohne Konzept, Sprachlosigkeit zwischen Berlin und Warschau, brav gegenüber Washington, einfallslos gegenüber Moskau. Die innenpolitischen Niederlagen analysiert Vetter an Hand einer Politik der Mißachtung der Verfassung, der Machtausübung unter Mißbrauch der Medien, der Hetzjagd auf Teile der Staatsbürger unter dem Begriff der abgeguckten »Lustration«, das heißt »Durchleuchtung« vor allem politisch Mißliebiger und der Verwandlung der Geschichtspolitik in propagandistisches Trommelfeuer als Begleitmusik für die Staatspolitik im Zeichen von Hochflügen im Zeichen des gekrönten polnischen Wappen-Adlers und Bruchlandung im Zeichen einer Politik, die aus viel Geschrei bestand und wenig Wolle brachte.
Reinhold Vetter: Wohin steuert Polen? Das schwierige Erbe der Kaczynskis, Ch. Links Verlag Berlin 2008, 206 Seiten, 16,90 Euro
Schlagwörter: Gerd Kaiser, Reinhold Vetter