von Wolfgang Schwarz
Noch vor wenigen Wochen schien der Republikaner John McCain keine ernsthafte Chance zu haben, das Rennen um die nächste Präsidentschaft der USA gegen seinen Herausforderer Barack Obama von den Demokraten zu gewinnen. Zu viel hat der ihm an Charisma, Eloquenz und Dynamik voraus, und vor allem schleppt Obama nicht die Hypothek von acht Jahren republikanischer Bush-Administration mit sich herum.
An all diesen Faktoren hat sich nichts geändert, aber der Trend ist – erst einmal – gekippt. Die wesentliche Ursache dafür, darin sind Beobachter sich einig, ist ein Überraschungscoup, den McCain und sein Team Ende August gelandet haben: Die Präsentation von Sarah Palin, der 44jährigen Gouverneurin von Alaska, als Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten. Der fünffachen Mutter, der es weder an Selbstbewußtsein noch an Ausstrahlung mangelt und die bei ihren Auftritten offensichtlich auch emotional die richtigen Seiten anschlägt, ist es binnen kurzem gelungen, das nur mäßig zugkräftige Erscheinungsbild McCains als überalterter Stockkonservativer weitgehend zu neutralisieren.
Dazu mag nicht zuletzt beigetragen haben, daß Sarah Palin in freier Rede Pointen setzen kann und ihr Esprit dabei auch vor Anflügen von Selbstironie nicht zurückschreckt. So bezeichnete sie sich selbst als typisch amerikanische Hockey Mom. Mit diesem Qualitätssiegel adelt man dortzulande Frauen, die – zumindest zeitweise – auf Beruf und Karriere verzichten, sich ganz der Familie und der Kindererziehung widmen und dabei die lieben Kleinen von Termin zu Termin kutschieren. Aber damit nicht genug: Auf die von ihr selbst gestellte Frage nämlich, worin der Unterschied zwischen einer Hockey Mom und einem Pitbull bestehe, antwortete sie lakonisch: »Lippenstift.«
Als Hockey Mom enden wollte Sarah Palin offenbar jedoch nicht, denn 1996 ging sie in die Politik und legte dort eine steile Karriere hin. Nach sechs Jahren als Bürgermeisterin der 7000-Seelen-Gemeinde Wasilla avancierte sie 2006 zur jüngsten Gouverneurin von Alaska, und nun ist sie bereits Kandidatin für das Amt des US-Vizepräsidenten und würde damit, sollte McCain am 4. November gewinnen und anschließend die Legislaturperiode nicht durchstehen, automatisch zur ersten Präsidentin der Supermacht Amerika, zur Oberbefehlshaberin der amerikanischen Streitkräfte und zur Herrin über Krieg und Frieden. (Amerikanische Präsidenten sind in ihren Entscheidungen über den Einsatz von Streitkräften im Ausland ja bekanntlich bis heute nicht von einer Zustimmung durch den Kongreß abhängig.)
Während McCains Wahlkampf durch Palins Nominierung an Schwung spürbar gewann und seine Umfragewerte die Obamas überflügelten, häufen sich derzeit jedoch Indizien dafür, daß dieser Aufschwung nicht unbedingt von Dauer sein muß. Da wurde zunächst bekannt, daß Palin eine 17jährige Tochter hat, die unverheiratet und schwanger ist. Was in Deutschland allenfalls ein Thema für den Boulevard wäre, ist in den USA ein Fundamentalaffront gegen den Wertekanon konservativer weißer Protestanten.
Aber vielleicht macht Palin in den Augen dieser mächtigen Wählerschicht diesen Malus durch ihre strikte Ablehnung von Sexualerziehung in der Schule und von Abtreibung wieder wett.
Ernstere Kratzer auf der Hochglanzpolitur der Kandidatin könnten da schon nicht endenwollende Berichte über Eigenheiten in ihrer Amtsführung als Gouverneurin hinterlassen. Daß sie die Bärenjagd vom Flugzeug aus legalisiert und Rechtsmittel gegen die Administration in Washington eingelegt hat, damit diese Eisbären nicht auf die Liste der bedrohten Tiere setze, mag vielleicht nur Tierschützer aufregen. Aber daß sie den Sicherheitschef von Alaska abgesetzt haben soll, als der sich weigerte, den Mann ihrer Schwester nach dessen Scheidung aus dem Polizeidienst zu feuern, ist dem Senat von Alaska dann schon eine parlamentarische Untersuchung wert. Und auch Beiträge über Nepotismus, wie jüngst in der New York Times, kommen nicht wirklich gut an. Demnach hätte sie Freundinnen, mit denen sie bereits seit ihren Schultagen bekannt ist, mit hochdotierten Verwaltungsposten versorgt.
Palins größtes Manko allerdings dürfte ihre persönliche Qualifikation sein beziehungsweise das, was ihr in dieser Hinsicht für das anvisierte Amt fehlt. Vor allem verfügt sie praktisch über keinerlei nationale, geschweige denn internationale Erfahrung. Vor ihrem ersten öffentlichen Interview, in dem es auch um Außenpolitik gehen sollte und das der Fernsehsender ABC just am 11. September ausstrahlte, wurde sie daher tagelang von McCains Team gebrieft.
Aber offenbar nicht intensiv genug. Auf die Frage, ob sie der Bush-Doktrin – die zur Rechtfertigung des zweiten Irakkrieges herhalten mußte – zustimme, stellte sie eine Gegenfrag: »In welcher Hinsicht?« Auf die Anschlußfrage, was sie denn unter der Bush-Doktrin verstehe, erwiderte sie, Bush habe versucht, das Land zu schützen. Schließlich klärte der Interviewer sie auf, daß der amtierende Präsident mit dieser Doktrin für Amerika das Recht postuliert hatte, im Falle einer empfundenen Bedrohung auch Präventivkriege zu führen.
Zum Nahen und Mittleren Osten war bei diesem Interview von Sarah Palin zu hören, daß sie einen Militärschlag Israels gegen Iran unterstützen würde. Ihre Begründung? Washington könne »nicht die Schritte in Frage stellen, die Israel für notwendig hält, sich selbst zu schützen«.
Und schließlich plädierte die Kandidatin für den Beitritt Georgiens – und der Ukraine – in die NATO. Das tut auch McCain. Anders als dieser aber faßte sie auch den Bündnisfall gleich mit ins Auge – konkret Krieg mit Rußland. Ob die USA dann nicht Rußland den Krieg erklären müßten, sollte es nach einem Beitritt Georgiens dort erneut intervenieren, wollte der Interviewer wissen. »Vielleicht ja«, antwortete Sarah Palin und fuhr fort: »Ich meine, das ist doch die Vereinbarung, daß du als NATO-Alliierter zu Hilfe gerufen wirst, wenn ein anderes Land angegriffen wird.« Nur zur Erinnerung: Im jüngsten Konflikt war Georgien der Angreifer.
Auch auf die Frage, was sie als Gouverneurin von Alaska außenpolitisch qualifiziere, war sie um eine Antwort nicht verlegen: »Man kann von hier aus Rußland sehen.«
Bei den Römer hieß es in solchen Fällen mit Herablassung und Häme: »Si tacuisses philosophus mansisses – hättest du geschwiegen, wärest du ein Philosoph geblieben.« Im Gegensatz dazu sollten die Amerikaner und wir Sarah Palin dankbar sein – für die rechtzeitige Aufklärung.
P.S.: Und sage hinterher niemand, er habe (wieder einmal) nicht gewußt, was kommt!
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