Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 15. September 2008, Heft 19

Globalisierungsgegner

von Wolfram Adophi

Meine Kenntnisse von Ausspracheregeln des Ungarischen verdanke ich dem Fußball. Ich weiß nicht, ob sich noch jemand erinnert, aber Ungarn war in den sechziger Jahren gleich mehrmals hintereinander Gegner der DDR in Qualifikationsrunden für große Meisterschaften, und da gab es Reporter, die sich angelegen sein ließen, ein bißchen Weiterbildung zu betreiben. So konnte man lernen, daß der Stürmer Farkas nicht Fahrkaß, sondern forkosch ausgesprochen wird, und irgendwann erfuhr man auch, daß dieser forkosch im Deutschen ein Wolf ist. Ich fand ihn gut, diesen pädagogischen Touch in der Sportreportage. Warum auch sollte man mit dem Ehrgeiz der richtigen Aussprache bei Bordeaux und de Gaulle oder New York und Eisenhower stehenbleiben.
In solcher Erinnerung schwelgend, schaltete ich frohgemut die Olympiaübertragungen aus Beijing (gesprochen: behdjing) ein. Vor sieben Jahren, weiß man, sind die Spiele an die chinesische Hauptstadt vergeben worden, und da müßte ja, dachte ich, Zeit genug gewesen sein, die Berichterstatter wenigstens ein bißchen mit der Sprache vertraut zu machen. Wann, wenn nicht jetzt, dachte ich. So klein, sagen uns die Globalisierer immer wieder, ist die Welt geworden, so nah ist alles. Warum also nicht mal im Chinesischen genauso sorgfältig sein wie im Englischen und Französischen? Aber erschreckend schnell war klar: Verwirrung allenthalben, ziemlich hilfloses Radebrechen immer wieder, keine Ahnung zudem, ob es sich beim gerade verkündeten Namen um Vor- oder Familiennamen handelte.
Also bei der ARD nachgefragt. Per E-Mail. Was denn getan worden sei im Öffentlich-Rechtlichen, um die Reporter auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Ob es denn einen kleinen Lehrgang gegeben habe für die Leute, damit sie sich einmal mit der hanyu pinyin, der offiziellen Lautumschrift der chinesischen Zeichen, befassen konnten. Da gebe es Regeln, schrieb ich noch, die seien schnell zu erlernen, und wann, wenn nicht jetzt … Die Antwort kam prompt: »… können Ihnen versichern, daß sich unsere Reporter und Moderatoren alle Mühe mit der ungewohnten Sprache geben. Wenn Fehler passieren, ist das nicht ihrem Desinteresse geschuldet, sondern der Tatsache, daß es sich dabei um die Sprache eines völlig anderen Kulturkreises handelt, die nicht innerhalb kürzester Zeit erlernt werden kann …«
Ich blieb hartnäckig, wollte noch einmal genauer wissen, ob denn wirklich kein Lehrgang …? »Aus Kostengründen«, beschied man mir, sei das nicht gegangen, und noch einmal: »… bitten um Verständnis … im Falle eines derart exotischen Kulturkreises wie China …«
Aha. Seltsam nur, daß man dann, wenn es mal gerade nicht um die Anstrengung des Sprachenlernens geht, in den großen Sendern über den »derart exotischen Kulturkreis« so unglaublich genau Bescheid weiß. Da ist alles sofort parat: das Dilemma mit den Menschenrechten und den Wanderarbeitern und dem Turbokapitalismus und überhaupt. Und wenn das also klar ist – was muß man da noch wissen über Vor- und Familiennamen, Ausspracheregeln und anderlei Überflüssiges? Oder gar noch die Fähigkeit besitzen, mit den Menschen auf der Straße in Dialog zu treten? Man weiß doch ohnehin: Die dürfen sowieso nicht reden, nicht wahr? Im »derart exotischen Kulturkreis«.
Da offenbart sich so mancher als Globalisierungsgegner, obgleich er täglich das Gegenteil behauptet. Aber genug mit der Kritik an den armen Reporterinnen und Reportern. Ganz leicht ging ihnen die Rede von den US-Boys und US-Girls über die Lippen, und nie kamen ihnen in diesem Zusammenhang Begriffe wie Irak, Afghanistan oder Guantanamo in den Sinn. Es ging ja auch um Sport, schließlich, und nicht um Politik. Jedenfalls außerhalb des »exotischen Kulturkreises«. Der – wie leicht man das vergessen kann! – ein Fünftel der Menschheit umfaßt.