von Bernhard Romeike
Ein alter Streitpunkt in der Theorie der Politik ist, die Politik müßte sich doch nach der Vernunft richten. Was vernünftig ist, sollte auch politisch umgesetzt werden. Tatsächlich jedoch geht es in der Wahl-Demokratie nach Mehrheiten, und die kommen unter unterschiedlichen Bedingungen zustande. Die ursprüngliche Form war, nachdem das Wählen einge-führt worden war: Die Knechte wählen wie der Herr, ob nun offen kontrolliert oder über verinnerlichte Unterwerfungsvorgänge. Dann gab und gibt es die, die Stimmen zu kaufen: Ihr wählt mich oder meine Partei und bekommt dafür jeder zwanzig Pesos oder Dollars oder wie auch immer die Währung heißt. Das ist im demokratischen Europa verboten.
Daher sind die Herren darauf verfallen, Zeitungen zu kaufen und Fern-sehsender oder die Parteien über Spenden und Lobby-Arbeit, soziale Kontrolle der Politiker oder das Versprechen zu lenken, daß sie anschlie-ßend gut dotierte Jobs in »der Wirtschaft« erhalten. Das haben Ex-Kanzler Schröder, sein ehemaliger Wirtschaftsminister Clement, Friedrich Merz von der CDU und viele andere erfolgreich gemacht. Oder der Besitzer all der großen Fernsehsender gründet eine neue Partei, als ein Unternehmen, das ihm gehört. So ist Berlusconi zum dritten Mal Italiens Ministerpräsident geworden. Es sind, das ist der Punkt, der hier interessiert, über die Jahre subtile Mechanismen geschaffen worden, die bewirken, daß die Menschen zwar wählen, dies jedoch so tun, wie es den Herrschenden gerade in den Kram paßt.
Das muß nicht immer so sein. Manchmal gibt es Wahlen, in denen historisch etwas entschieden wird, meist aber nicht. Dann trödelt der Politikbetrieb so vor sich hin, und niemand weiß, wie und wie lange. Jetzt reden viele bereits über die zahlreichen Wahlen in Deutschland im Jahre 2009, unter denen die zum Bundestag und zum Europäischen Parlament die herausragenden sind. Wenn es nach der Vernunft ginge, müßten alle »abhängig Beschäftigten« Parteien wählen, die für die Erhöhung der Löhne und Gehälter eintreten, und alle Rentner Parteien, die gegen die Kürzung der Renten sind. Das hat Oskar Lafontaine schon öfter gesagt, nur zur Mehrheit für die Partei Die Linke hat es bisher nicht gereicht: Arbeiter, Angestellte und Rentner wählen weiter mehrheitlich Parteien, die ihnen nicht nur ans Portemonnaie wollen, sondern dies auch tun.
Dennoch geht man davon aus, daß es bei den Wahlen 2009 um wichtige Dinge geht wie Sozialpolitik, Kinderarmut, Rentenversicherung, Gesundheitssystem, Arbeitsmarktpolitik, Bildungspolitik und öffentliche Sicherheit. Sicherlich sitzen in den Parteizentralen und deren Zuträger-Agenturen bereits Leute, die aufschreiben, was die jeweilige Partei zu solchen Themen sagen sollte. Wird dies aber die Wahlen entscheiden? Um noch einmal in das Nähkästchen der Politikwissenschaft zu schauen: Als am stärksten gilt der, der die Themen bestimmt, um die am Ende die Entscheidung geht. Berlusconi hatte jüngst mit Fremdenhaß und Rumänenfeindlichkeit Erfolg, Koch in Hessen ist mit einer gleichartigen Kampagne kläglich gescheitert.
Welche Themen also 2009? Im Bereich Wirtschafts- und Sozialpolitik wird es sein wie immer: Sind die Arbeitslosenzahlen niedriger – als 1871 oder 1949 oder 1990 oder unter Schröder –, wird die Bundeskanzlerin sagen, das sei Ergebnis ihrer guten Politik; sind sie höher, ist der Chinese schuld, der russische Erdgasleitungsbetreiber oder aber der Klimawandel, jedenfalls nicht sie. Ansonsten wird man versuchen, die Themen anders zu setzen und Die Linke mit anderen Dingen zu beschäftigen. Da der Afghanistankrieg sich zuspitzt und vermehrt Opfer kostet, wird die Forderung nach Abzug der deutschen Truppen als unpatriotisches, unwestliches Kapitulieren vor dem Taliban denunziert werden: »Die sind nicht außenpolitikfähig«.
Ein weiteres Thema wird das Nahostproblem und das Verhältnis zu Israel bleiben. Nachdem schon in der Vergangenheit Streit ausgebrochen war innerhalb der Linken zwischen denen, die das Verhältnis zu Israel – ohne über Geschichte, Grenzen, Staatsverfassung, Besatzungspolitik, Un-terdrückung von Palästinensern überhaupt zu reden – zum Kriterium jeglichen Denkens und Handelns erklären, und den anderen, die sagen, Linke müßten mit den Unterdrückten aller Länder solidarisch sein und für den Weltfrieden eintreten, läßt sich das im nächsten Jahr ja vielleicht noch etwas zuspitzen: »Die haben kein Verhältnis zur Geschichte und zur Verantwortung der Deutschen«, könnte es dann heißen.
Das dritte Feld hat die Kanzlerin schon mal zubereiten lassen. In der EU ging es jüngst um Kuba. Auf Antrag Spaniens wurde darüber verhandelt, die 2003 verhängten und 2005 ausgesetzten Sanktionen gegen Kuba völlig aufzuheben. Außenminister Steinmeier hatte bereits Zustimmung signalisiert. Da bestand Angela Merkel auf ihrer Richtlinienkompetenz und verlangte eine Korrektur: Die Sanktionen gegen Kuba werden zwar aufgehoben, gleichzeitig jedoch Forderungen an die kubanische Führung in Sachen Menschenrechte gerichtet, deren Erfüllung im Sommer 2009 überprüft werden soll. Auch hier weiß man, daß es im linken Lager im Zweifelsfalle eifernden Streit geben wird. So wird auch Kuba zu einem Thema des Wahlkampfes 2009 in Deutschland gemacht, das sich nach Belieben aufrufen läßt: »Die haben kein Verhältnis zu den Menschenrechten.«
Die eigentliche Frage der Wahlkämpfe 2009 wird sein, ob es um die harten Themen der Wirtschafts- und Sozialverhältnisse in Deutschland geht oder um die »weichen« Themen, bei denen sich trefflich um Gesinnungsfragen streiten läßt. Sollte sich jedoch das Friedensproblem plötzlich als »harte Frage« der politischen Auseinandersetzung erweisen, wird diese Rechnung nicht aufgehen.
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