Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 4. August 2008, Heft 16

Verstreuter Tod

von Wolfgang Schwarz

Die jüngste Meldung zum Thema, die dem Autor bekannt geworden ist – in diesem Fall von seiten der Cluster Munition Coalition (CMC), die rund 300 gesellschaftliche Initiativen und Organisationen aus mehr als achtzig Staaten umfaßt und sich der weltweiten Ächtung von Streumunition verpflichtet hat –, stammt vom 10. Juli 2008: In Vietnam, im Hai Lang District, Provinz Quang Tri, starben drei Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren durch die Explosion eines Bomblets, das bei Angriffen der US-Luftwaffe, vermutlich 1972, zu Boden gegangen war.
Sie gilt militärisch als eine der effizientesten konventionellen Waffen überhaupt, weil sie ihre Vernichtungswirkung – vornehmlich gegen sogenannte weiche Ziele (Menschen, ungepanzerte Fahrzeuge, offene militärische Stellungen für Artillerie und Luftabwehr sowie gegen Infrastrukturziele wie Straßen, Brücken und Landebahnen) – großflächig entfaltet und im Vergleich zu hochentwickelten Hightech-Waffensystemen auch noch kostengünstig zu beschaffen ist. Die Rede ist von sogenannter Streumunition, die über geeignete Trägersysteme – Flugzeuge, Raketen, Artilleriegeschosse – zum Einsatz kommt und die über dem Ziel-areal eine mehr oder weniger große Menge an Submunitionen, auch Bomblets oder Cluster genannt, ausstößt.
Streumunition wird heute in über dreißig Ländern der Erde hergestellt. Auch die Bundeswehr verfügt über entsprechende Systeme – etwa die MW (für Mehrzweckwaffe) 1 zum Einsatz durch den Kampfbomber Tornado, mit der auf einer Fläche von bis zu 700 mal 2500 Metern selbst Panzeransammlungen bekämpft werden können.
Die häßliche Seite dieses Munitionstyps ist seit den Flächenbombardements der USA in Indochina bekannt und durch Einsätze in jüngerer Zeit (Kosovo, Afghanistan, Irak, Libanon) wieder nachhaltig verdeutlicht worden: die hohe Blindgängerquote. Bis zu vierzig Prozent der Submunitionen explodieren beim unmittelbaren Einsatz nicht und bleiben als tödliche Gefahr – vor allem für die Zivilbevölkerung – im Gelände liegen.
Häufig werden die Bomblets vom Hersteller zwar auffällig gefärbt, aber was als Warnung gedacht ist, wird häufig genug zum Magneten, wenn ahnungslose Kinder nach dem vermeintlichen bunten Spielzeug greifen oder nach der scheinbar leeren Getränkedose treten. Nachrichten und Bilder von toten oder verstümmelten Opfern sind häufig genug durch die Medien gegangen. Die Zahl der Toten und Verletzten weltweit geht jährlich in die Tausende.
Internationaler Widerstand engagierter gesellschaftlicher Kräfte, aber auch zahlreicher Staaten gegen diese unterschiedslose und besonders tückische Form der Kriegführung hat sich seit langem formiert und in diesem Jahr zu einem wichtigen Durchbruch geführt. Nach mehrjährigen Verhandlungen kamen am 30. Mai in der irischen Hauptstadt Dublin 111 Staaten überein, Streumunition mit hohem Blindgängeranteil zu verbieten. Diesen Erfolg führten Beobachter nicht zuletzt auf den Sachverhalt zurück, daß der NATO-Partner Großbritannien in der Endphase der Verhandlungen seine bisherige Auffassung revidierte und auf die Linie eines Streumunitionsverbots einschwenkte. In diesem Fall entschied die Labour-Regierung unter Gordon Brown gegen das Votum des eigenen Militärs. NATO-Partner Belgien hatte einen vergleichbaren Verzicht bereits vor längerem vollzogen.
Das Abkommen von Dublin soll am 3. Dezember in Oslo unterzeichnet und anschließend von den einzelnen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. In einem Zeitraum von acht Jahre sollen dann die unter das Verbot fallenden Munitionstypen vernichtet werden.
In einer gemeinsamen Erklärung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung hieß es nach dem Erfolg von Dublin: »Deutschland hat in den Bemühungen um ein wirksames Streumunitionsverbot eine Vorreiterrolle gespielt.« Das ist aber leider nicht die ganze Wahrheit. Denn es ist nicht unmaßgeblich den Bemühungen der Bundesrepublik zuzuschreiben, daß der Vertrag von Dublin – diplomatisch formuliert – Inkonsequenzen enthält.. Ursprünglich wollten sich die Vertragsstaaten nach Artikel 1 auch verpflichten, »niemals« und »unter keinen Umständen« Nichtmitglieder des Vertrages bei Aktivitäten zu unterstützen, die dem Vertrag zufolge verboten sind. Das hätte zum Beispiel die Lagerung von Streumunition auf amerikanischen Stützpunkten in der Bundesrepublik untersagt. Auf Drän-gen unter anderem der bundesdeutschen Delegation in Dublin wurde Artikel 1 dadurch aufgeweicht, daß in Artikel 21 »militärische Zusammenarbeit« mit Nichtmitgliedern ausdrücklich gestattet wird. Anders als Großbritannien hat die Bundesregierung inzwischen auch deutlich gemacht, daß sie die USA nicht zu einem Abzug auffordern wird.
Ebenso gravierend ist, daß sogenannte intelligente Streumunition – als »Qualitätskriterien« gelten unter anderem eine Blindgängerquote von unter einem Prozent und/oder ein eingebauter zeitversetzter Selbstzerstörungsmechanismus – gar nicht erst unter das Verbot von Dublin fällt. Auch hier sei, so Claudia Roth, von den Grünen, die Handschrift der Bun-desregierung zu erkennen. Und das Interesse der deutschen Rüstungskonzerne Rheinmetall und Diehl.
Nichtsdestoweniger ist die Ankündigung der Bundesregierung zu begrüßen, im Vorgriff auf die Inkraftsetzung des Vertrages ab sofort auf die unter das Verbot fallenden Systeme zu verzichten und mit ihrer Abrüstung umgehend zu beginnen. Das betrifft immerhin 97 Prozent der entsprechenden heutigen Bestände der Bundeswehr.
Das eigentliche Manko des Vertrages von Dublin besteht allerdings darin, daß die Staaten mit den größten Arsenalen an Streumunition (USA, Rußland, China, Indien, Pakistan, Israel) ihre Teilnahme bisher grund-sätzlich verweigern. Das kann allerdings kein Grund sein, das Ergebnis von Dublin geringzuschätzen. In Abrüstungsfragen hat eine Position des »alles oder nichts« noch allemal ein Nichts zur Folge gehabt. In diesem Falle ist ein Etappenziel erreicht, und der Kampf muß weitergehen.
Zum Schluß das Neueste zum Thema aus den USA: Spiegel online meldete am 8. Juli, daß US-Verteidigungsminister Robert Gates eine Anordnung unterzeichnet habe, derzufolge künftig mindestens 99 Prozent der Sprengsätze einer Cluster-Bombe explodieren müssen, um das Risiko verspäteter Explosionen mit Verlusten in der Zivilbevölkerung zu verringern. Verbindlich für die Hersteller sei die Anordnung ab dem Jahre 2018.
Das ist nun wahrlich Humanität der besonderen Art.