von Peter Richter
Am Anfang müßte eigentlich Selbstkritik stehen: Da gibt es seit nunmehr sechzehn Jahren einen »Forschungsverbund SED-Staat« an der Freien Universität in Berlin, der inzwischen tausende Seiten über jenes Gebilde DDR, das er nicht einmal mit seinem richtigen Namen benennen will, produzierte – und alles war offensichtlich für die Katz. Jetzt mußten die Forscher auf 800 neuen Seiten verzweifelt eingestehen, daß mit solchem hohen Einsatz nichts erreicht wurde – im Gegenteil, fast zwanzig Jahre nach ihrem Verschwinden bekommt die DDR ein besseres Image. Das kann eigentlich nur eine Ursache haben. Die FU-Soziologen haben total versagt – entweder weil sie richtige Erkenntnisse so miserabel an den Empfänger zu bringen versuchten, daß der genau das Gegenteil daraus ableitete, oder weil ihre Erkenntnisse so weit von den Erfahrungen der Menschen entfernt waren, daß diese sie einfach nicht ernstnehmen konnten.
Schaut man sich die Resultate der Berliner Forschungen genauer an, dann drängt sich letztere Begründung auf. Denn interessanterweise wissen von den über 5000 befragten Schülern am besten jene über die DDR Bescheid, die vom Osten am weitesten entfernt leben – nämlich die bayerischen. Sie haben schon immer eher vom Hörensagen über den anderen deutschen Staat erfahren, und wenn sie ihn überhaupt jemals besuchten, dann führte man sie ganz gezielt zu jenen Stätten, die noch immer Schauder über den Rücken laufen lassen und Lehrbuchpassagen über Diktatur und Unterdrückung aufs Schönste bestätigen. Am wenigsten, so fand die jüngste Studie mit dem ihre Philosophie sehr präzise auf den Punkt bringenden Titel »Soziales Paradies oder Stasi-Staat?« heraus, wissen über die DDR jene, die in ihr lebten beziehungsweise von ihren Eltern etwas über sie erfuhren, nämlich die Ostdeutschen. Sie bezogen und beziehen ihr Wissen nicht aus Publikationen der politischen Bildung, sondern aus den Erinnerungen von Eltern, Verwandten, Bekannten, in der Regel also Menschen, die in der DDR tatsächlich gelebt haben und diesem Staat in ihrer Mehrheit, wie wir spätestens seit 1989 wissen, nicht gerade in unkritischer Sympathie verbunden waren. Aber sie erkennen ihn schon gar nicht in den oft westlicherseits produzierten Darstellungen.
Was sie jedoch sehr gut erkennen dürften, weil sie es vierzig Jahre lang selbst erlebt haben, ist die propagandistische Zielstellung des ihnen vermittelten Bildes auf ihr eigenes Leben. Auch in der DDR wurde ihnen in vielen Büchern, Filmen, Zeitungsartikeln nicht die Wirklichkeit ihres Landes vermittelt, sondern ein von ideologischen Interessen geprägtes Bild verordnet. Das passiert nun erneut, wenn auch mit gänzlich entgegengesetzter Stoßrichtung. Wahrhaftiger ist dieses Geschichtsbild vor allem deshalb nicht, weil es nur von dem einen Extrem zum anderen wechselte. In beiden Fällen fehlt die Differenziertheit, also das eigentliche Wesensmerkmal wirklichen Lebens. Und deshalb werden die Bemühungen der FU-Forscher auch weiterhin fruchtlos bleiben und – wie in der DDR jene der Parteipropagandisten – auch künftig eher das Gegenteil erreichen. Daß das Sein das Bewußtsein bestimmt, läßt sich eben durch noch so fleißige Ideologieproduktion nicht außer Kraft setzen.
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