Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 21. Juli 2008, Heft 15

Wiedermal im Oderbruch

von Günther Drommer

Zwei Tage wie Milch und Honig. Die Felder grüngelb. Die Brache in voller Blüte. Blaue Wegwarte und roter Mohn. Der Klostersee weich und warm. Dunkelblauer Himmel. Weiße Drachenwölkchen. Die Pappeln im rauschenden Silberkleid. Zwei Zeitungsmeldungen. Die eine in dem kostenlosen Etwas, das inzwischen viele Einheimische für »ihre Zeitung« halten. Nicht ahnend, daß sie sich für einiges Geld auch jeden Tag zwei Pfund Frankfurter Allgemeine in ihren Briefkasten schaufeln lassen könnten. Dann würden sie zu den Bescheidwissern von heute gehören.
Also, ich lese als eine Art Spitzenmeldung in diesem Blatt, das wie eine Zeitung aussieht: Der große alte zweite Landesvater ist immer noch unzufrieden mit seinen Kindern. Sie können und können sich nicht an die Marktwirtschaft gewöhnen. Sie trauern sogar der verflossenen Folterkammer nach, halten die Stasi für einen ganz gewöhnlichen Geheimdienst, und immer noch heißen Straßen nach Karl Marx und Clara Zetkin. Pfui Deibel. Soll das nun die Treu und Redlichkeit sein, die er so gern von seiner lieben Garnisonkirche, in der sich Hi und Hi einst die Treue schworen, ins Land läuten lassen möchte? Und der unermüdliche Hubertus (»der durch seinen Geist glänzt« und Schutzpatron der Jäger) fühlt sich hoffentlich angespornt, hofft der General a. D., wieder einen seiner dringlichen Jagdschreie auszustoßen. Der andere junge erste Landesvater hingegen, Deichgraf an der Oder a. D., steht dabei und schweigt vornehm dazu in der Art seiner vornehm schweigenden Partei.
Nun zur zweiten Meldung, die hab ich nicht selbst gelesen, aber im Alten Fritzen in Letschin beim Bier gehört: Im Oderbruch wurden erstmalig einohrige Hasen gesichtet, stand jedenfalls in der Zeitung! Das haut mich alten Thüringer nicht vom Hocker.. Meine Vorfahren lebten schließlich Jahrhunderte mit ihren Hanghühnern (ein langes und ein kurzes Bein, damit sie gerade stehen können) und ihren Rasselböcken (Reh plus Hase macht leider auch nicht mutig). Mit kühlem Kopfe frag ich mich also: Wo kommen diese Hasen her? Und finde die Antwort schnell: In den schrecklichen Jahren vor der ZeitenWende kam immer der große LPG-Mähdrescher dahergebrettert und fuhr den armen Hasen tot. (Das ist keine lustige Stelle in diesem kleinen Text.) Der Hase lernte sich ducken. Jetzt kommt schon ziemlich lange der noch größere Mähdrescher von der Firma Claas angesaust, der Hase will ihn freudig begrüßen, hebt den Kopf, bumms, Ohr ab. Inzwischen vererben das die Hasen nach den Gesetzen der Darwinschen Natürlichen Auslese und werden einohrig geboren.
Ein Hase soll dieser Tage in Güstebieser Loose gesichtet worden sein, der hatte sich an sein Ohr eine kleine Fahne gebunden, schwarz rot gold. Und warum? Manchmal braust in der Mittagshitze dieser wunderbaren Sommertage der apokalyptische Reiter E. H. mit seiner Staatsjagd durch die Felder und will mit dreifachem Horrido all die kleinen Häslein abknallen. Da haben die sich gesagt, du warst der Staatsratsvorsitzende mit dem roten Stander an der Kühlerhaube. Das sah immer sehr schick aus. Wir sind jetzt auch alle Staatsratsvorsitzende in der Bundeshasenrepublik. Uns mußt du anerkennen. Und weil der Erich auf Teufel komm raus jeden anerkennen will, der einen anderen Staat repräsentiert, läßt er sein Gewehr sinken und sagt: Erkennst du mich an, erkenn ich dich an. Darüber freut sich der kleine Hase mit der Fahne am Ohr. Und der große alte Mann in Potsdam ärgert sich und gibt seiner B-Behörde schnell den Auftrag, wieder was Schreckliches zum Gruseln zu finden aus der Vergangenheit. Aber die, die sich gruseln sollen, sitzen statt dessen beim Bier und erzählen sich was von Rasselböcken und Einohrhasen.
Da begann sich mein Traum in der Mittagshitze in sich selbst zu verhaspeln. Ich bin schnell aufgewacht, und wie ich mit den Augen blinzele, da gucken mich ganz viele Häschen an mit ihrem festen nationalen Hasenblick: am Ohr eine Fahne, schwarz rot gold.