Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 21. Juli 2008, Heft 15

Die Freiheit endet vor dem Tod

von Peter Richter

Mit einer Klarheit, die sonst sorgsam vermieden wird, offenbart die Union gegenwärtig beim Thema Sterbehilfe und Patientenverfügung, wie wenig sie die unübertroffene Freiheitspartei ist, als die sie sich gern darstellt. Dem schriftlich, möglicherweise sogar mehrfach bekundeten und notariell beglaubigten Willen eines Menschen stellen sie ein imaginäres »Wohl des Patienten« gegenüber, über das er selbst jedoch nicht zu befinden hat, sondern Ärzte, Betreuer oder irgendwelche sonstigen »Bevollmächtigten«. Für CDU und CSU, aber auch manche der Union zunehmend gewogenen Grünen endet damit die Freiheit des Menschen, die sich vor allem über sein von der Verfassung verbürgtes Selbstbestimmungsrecht realisiert, spätestens vor seinem Tod.. Dann wird ihm die Selbstbestimmung aus der Hand genommen und einem anderen, ihm in jedem Falle fremden Wesen übertragen, denn Verwandte oder sonstige nahe Angehörige zählen nicht zu den genannten Betreuern und Bevollmächtigten. Sie könnten schließlich das Gleiche sagen wie der Betroffene.
Da solch eine Entmündigung des Menschen nur schwer vermittelbar ist, bedienen sich die Union ebenso wie ihre Nachbeter der Religion zur Rechtfertigung. Schließlich sei das Leben ein Gottesgeschenk, und kein Mensch habe das Recht, darüber selbst zu verfügen. Dieses Recht maßen sich statt dessen jene an, die sich selbst als Interpretatoren und Vollstrecker des göttlichen Willens bezeichnen – zuallererst die Kirchen und dann natürlich jene Parteien, die sich selbst zu christlichen erklärten. Beide jedoch, die Kirchen mit ihren unterschiedlichen Prägungen wie Beeinflussungstechniken und ebenso die Parteien, die besondere Gottesnähe für sich in Anspruch nehmen, benutzen »Gott« auch in dieser Frage nur als Vehikel, um die Freiheit des Menschen zu beschneiden. Betrachtet man die Geschichte der christlichen Kirchen, so ist sie permanent von Freiheitsbeschneidung und sogar Freiheitsberaubung gekennzeichnet. Besonders die katholischen Regeln, aber auch die Gesetze der Evangelikalen sind ein beinahe uferloses Sammelsurium von Menschenrechtsverletzungen; wer sich dagegen auflehnt, muß mit bitteren Sanktionen rechnen. Die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Tod ist nur eins von vielen Beispielen.
Man kann gegen Sterbehilfe-Organisationen gewiß im Einzelfall manches vorbringen, eines aber nicht – daß sie den Willen der Menschen mißachten. Schließlich machen sie keine Werbekampagnen für den selbstbestimmten Tod. Es sind die Menschen, die aus ihrer Not heraus die Hilfe solcher Organisationen suchen. Von Politikern können sie diese nicht erwarten, und von Kirchen nur dort, wo sich diese direkt und engagiert um den Sterbenden kümmern – in den wenigen Hospizen. Es ist bezeichnend, daß auf einen offensichtlichen Notstand in einer alternden Gesellschaft nur mit Verboten reagiert wird – und nicht mit tatsächlicher Hilfe. Der gerade im Bundesrat glücklicherweise gescheiterte Gesetzentwurf von CDU-geführten Ländern gegen die Sterbehilfe sah detaillierte Strafen vor, die auch in der – statt dessen angenommenen – Resolution angedroht werden. Zum Ausbau der Palliativmedizin und des Hospizwesens enthält er jedoch nur wohlfeile Absichtserklärungen und keinerlei konkrete Vorstellungen. Schließlich kostet eine solche würdevolle Sterbebegleitung Geld, und da vergessen CDU und CSU schnell das »Wohl des Patienten«.