Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 9. Juni 2008, Heft 12

Die Zeitung danach

von Paul Oswald

Jüngst veranstaltete die einstige Ost-PDS mit der einstigen West-WASG in Cottbus eine Funktionärskonferenz, die sie Parteitag nannte. Nimmt man sich die Sendeminuten zum Maßstab, die der »Ereigniskanal Phönix« (nicht verwandt und nicht verschwägert mit Kishons Blaumilchkanal …) der Zusammenkunft widmete, handelte es sich um eine, die nicht unbedeutend war. Die Zeitungen jedenfalls folgten dieser Annahme, und also berichteten auch sie umfangreich.
Es gelang den Veranstaltern, folge ich der Zeitung danach, die Zusammenkunft von Überraschungen weitestgehend freizuhalten. Nichts geht über Regie, nichts über verläßliche Arbeitspräsidien und Antragskommissionen. Wenn ich »weitestgehend« formuliere, schließt das – erfahrene Zeitungsleser wissen es – die Ausnahmen ein. Die gab es, und sie kamen vorwiegend von herangereisten Basishanseln aus dem Westen. Denen fehlt es noch an Parteierfahrung.
Was dann gelegentlich dazu führte, daß Anträge nicht dort landeten, wo sie nach dem Willen der Antragsteller hätten landen sollen. Besonders putzig nahm sich eine West-Freundin auf Phönix aus – die unfeinen Vokabeln Genossinnen und Genossen schienen in Cottbus weitgehend wegreformiert gewesen zu sein –, die den verspäteten Eingang ihres Antrages damit begründete, im Konferenz-Präsidium habe man ihr nicht sagen können, wo die Antragskommission tage – ja, wo tagen sie denn, ja, wo tagen sie denn … Eines Tage wird es die Genossin Freundin auch gelernt haben.
Draußen vor der Tür, stand in der Zeitung, demonstrierten Berliner Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gegen die Politik des – kurioserweise – gemeinhin rot-rot titulierten Berliner Senats. Aber das störte den Ablauf kaum. Wenn überhaupt. Es schien, als seien alle zufrieden. Mit sich. Selbst nicht einmal wirkliche Ungeheuerlichkeiten, die sich Rechte in der Linken im sogenannten Vorfeld der Cottbuser Funktionärskonferenz geleistet hatten, kamen zur Sprache.
Als da zum Beispiel jener ungeheuerliche Satz des Wowereitschen Wirtschaftssenators Harald Wolf wäre, den er einige Wochen zuvor auf einer Fraktionsklausurtagung im uckermärkischen Templin aufgesagt hatte (so reden Ministeraspiranten …): »Wir müssen aufpassen, daß wir nicht zur Partei der Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfänger werden.«
Wie bitte? Als ob diese Gefahr je bestanden hätte … Wenn es jemals irgendwo passiert sein sollte, daß sich die einstige PDS an der Spitze einer Arbeits- oder Obdachlosen-Bewegung beziehungsweise einer Bewegung von Hartz-IV-Empfängern wiederfand – in Berlin war es jedenfalls nicht. Und gerade das hätte ja – unter (anderen) Umständen – auch ein Konferenzthema sein können. Aber sie wollen ja gar nicht …
Aber es kam noch lustiger. Oskar Lafontaine, einer der beiden Parteivorsitzenden der neuen LINKEN, der sich der Antipathie der Berliner Regierungssozialisten sicher sein darf, sagte einen Satz, von dem ich gern wüßte, welcher Redenschreiber ihm diesen ins Manuskript geschmuggelt hatte: Man könne, so Lafontaine, auf die Berliner Genossinnen und Genossen stolz sein. Es ging darum, daß die Berliner Wowereit gedrängt hatten, den Koalitionsvertrag einzuhalten, demzufolge bei Bundesratsabstimmungen bei Nichtübereinstimmung der beiden Koalitionspartner sich das Land Berlin der Stimme enthält. Diesmal ging es bekanntlich um den EU-Vertrag. Da haben die Berliner Mitregierer aber Schwein gehabt; ich hätte zu gern gewußt, ob sie – wenn ihnen Wowereit nicht gefolgt wäre – die Koalition aufgekündigt hätten.
Nun aber konnte Lafontaine behaupten, man könne stolz sein. In der Tat: Es war wirklich zutiefst beeindruckend, wie offen sie sich in Cottbus ins Gesicht logen. Da hätte Lafontaine eigentlich auch gleich mit seinem Stolz den Parteivorsitzenden von Sachsen-Anhalt bedenken können. Über den hatte vor der Cottbus-Konferenz in der Zeitung gestanden: »Matthias Höhn sagt, sie hätten in Sachsen-Anhalt durch die Tolerierung und Zusammenarbeit mit der SPD einen Vorsprung vor den Kollegen aus dem Westen. ›Wir waren der Türöffner für die Übernahme der Regierungsverantwortung in anderen Ländern. Das prägt uns bis heute.‹ Höhn gilt in der Partei als Reformer, weil er in die Regierung will. Seine Kritiker sehen Höhn als Ober-Realo, der alles verscherbelt um der Regierung willen. Und Kritiker gibt es viele: Von der Kommunistischen Plattform über altgediente Gewerkschafter bis zu Oskar Lafontaine, mit dem Höhn eine herzliche Abneigung verbindet …« Das läßt seinen glattrasierten Berliner Amtsbruder im Geiste ja fast als bärtigen Revoluzzer dastehen. Doch der wird nun sicher alles tun, daß dieser Eindruck sich nicht erst verfestigt. Und Lafontaine liebt sie alle. Von Friedensreich Bisky gar nicht zu reden.