von Ernest Gabriel
Ich gebe es zu: Ja, ich bin Soldat. Und: Ja, es ist mir peinlich. Bis heute weiß ich nicht, ob es Unwissenheit, jugendliche Unreife, halbstarker Machismo oder alles zusammen gewesen ist, was mich dazu brachte, den Dienst an der Waffe anzutreten.
Doch durch diesen kleinen Fehler in meinem Leben bekam ich die einzigartige Möglichkeit, einen Blick auf das zu werfen, was von Politikern und Militärs gemeinhin als »der Spiegel der Gesellschaft« betitelt wird. Was ich dort zu sehen oder, besser gesagt, zu hören bekam, weckt in mir eine extreme Angst vor eben dieser Gesellschaft, deren Mikroebenbild ich erblickt und erlebt habe, und ich beginne zu hoffen, daß es nur ein extrem verrücktes Zerrbild des bundesrepublikanischen Gemeinwesens darstellen möge. Wäre dem nicht so, würden wir in einem extrem martialischen, xenophobischen und rechtsradikal-militaristischen Umfeld leben – ohne es zu bemerken.
Von den um ihre Karriere bangenden Offizieren werden extreme politische Meinungen nicht nach außen getragen. Ganz anders jedoch steht es um die breite Front der Unteroffiziere und das Gros der Mannschaften. Bei den Unteroffizieren trifft man auf Rechtsradikalismus nahezu bei allen Dienstgraden.
Sei es der Feldwebel, der seinen toten Opa lautstark ehrt, da dieser im Krieg für den nationalsozialistischen deutschen Staat gefallen ist. Sei es der Oberfeldwebel, der einem Wehrpflichtigen dessen Ähnlichkeit mit einem HJler bescheinigt und bestätigt, daß dieser bestimmt besonders gut in der Armee aufgehoben wäre, oder aber der wachhabende Unteroffizier, der einem kurdischstämmigen Kameraden die Teilnahme an der Wache verwehrt, da »man solchem unreinen Pack« nicht trauen könne. Sei es der Mannschaftsgruppenführer, der sich vor einem Empfang russischer Militärs dafür einsetzt, deren Fahne doch auf den Boden zu lassen, damit diese beschmutzt und entehrt werden könne. Sei es der negride Soldat in einer deutschen Ehrenformation, der von jedem begafft wird, als wäre er ein Aussätziger.
Da hilft es wenig, daß sich die Bundeswehrführung so strikt ihrer Wehrmachtstradition zu entledigen versucht, wenn die breite Basis, vertreten durch Mannschaften und Unteroffiziere, sich in nahezu direkter Nachfolge zu dieser Institution bekennt.
Erstaunlich ist, daß die kulturelle und geographische Herkunft für die persönliche politische Meinung entscheidender zu sein scheint als die soziale. Der von mir beobachtete Fremdenhaß und Rassismus in der Bundeswehr zieht sich durch sämtliche gesellschaftlichen Schichten und ist unter ostdeutschen Unternehmersöhnen ebenso häufig und stark verbreitet wie unter den Halbstarken mit Hartz-4-Hintergrund.
Geographisch betrachtet, heben sich die Berliner überdeutlich positiv von allen anderen ab. Schon durch das alltägliche Stadtbild multikulturell erzogen, sind sie die einzigen, die sich stirnrunzelnd und augenbrauenhochziehend über nationalistische Ausbilder aufregen und sie nicht noch mit zustimmendem Gelächter beziehungsweise treudoofem Genicke unterstützen.
Doch es beschwert sich komischerweise niemand bei einer höheren Instanz. Warum nicht? Aus Angst, aus Dummheit, oder ist es der so hochgelobte Korpsgeist, der in meiner Einheit so überdurchschnittlich stark vertreten sein soll? Ich denke, in den meisten Fällen, in denen geschwiegen wird, handelt es sich schlichtweg, um stille Zustimmung. Und jene, die dieser menschenunwürdigen Volksverhetzung und Propaganda nicht ent-, sondern sogar widersprechen wollen, haben schlichtweg Angst und schweigen.
So auch ich.
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