Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 14. April 2008, Heft 8

Kostia Zetkin 1933

von Vitense Parber

Kostia Zetkin sandte in den Tagen um den 30. Januar 1933 seiner schwerkranken Mutter Clara Zetkin an ihren Aufenthaltsort in der Sowjetunion mehrere Briefe. Clara Zetkin, seit Ende des 19. Jahrhunderts die bekannteste sozialistische Frauenrechtlerin ihrer Zeit – mehr als zwanzig Jahre hatte sie erfolgreich die SPD-Zeitschrift Die Gleichheit geleitet –, war 1917 von der kriegsbejahenden SPD geschieden und nach der Ermordung ihrer jüngeren Freundin Rosa Luxemburg für Lenins Kommunistische Internationale auf dem internationalen Parkett zur wichtigsten weiblichen Stimme geworden.

Kostia Zetkin (1885–1980) hatte ursprünglich Politische Ökonomie studiert, wozu er von seiner Geliebten Rosa Luxemburg angeregt worden war, sich dann aber für die Medizin entschieden. Doch ein »Luxemburgist« war er selbst unter den revolutionsschreierischen Bürokraten des Thälmannschen Zentralkomitees der KPD geblieben.

Am 24. Januar 1933 schrieb er halb hoffnungschöpfend, halb schon in Verzweifelung seiner Mutter aus Berlin:

»Durch die Provokationen der Nazis, die Verlegenheitsmanöver ihrer derzeitigen Impotenz sind, hat die Partei wieder Auftrieb erhalten. Vorher konnte man über ihre Strategie nicht gerade entzückt sein: 10. Jahrestag des Ruhreinmarsches [durch Frankreich und Belgien 1923 – V. P.] u. ähnliche nationalistische Mätzchen, die man noch nicht einmal als demagogisch bezeichnen konnte, da man mit derartigem Klimbim keinen Hund vom Ofen lockte, geschweige denn die Nazis übertrumpfte.

In den Mauern Berlins ist ein kräftiger Haß gegen die Nazis, das sah man am Sonntag. Wie weit der sich aber über den Rahmen unserer Organisationen hinaus zu politischen Aktionen unter Führung der Partei ummünzen läßt, das ist noch sehr unbekannt.«

Am 25. Januar veranstaltete die Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands in Berlin eine Demonstration, an der sich 130000 Menschen beteiligten. In vielen Geschichtsbüchern der Linken wird sie immer wieder beschworen. Zwei Tage danach schrieb Kostia nicht nur über die Teilnehmer, sondern auch über die Organisatoren: »Am Mittwoch war eine wuchtige Demonstration. In Wind u. eisiger Kälte in schlechter, abgerissener Kleidung hielten die Massen stundenlang aus. Der Drang nach einheitlicher Aktion der Arbeiterklasse ist stark; ich fürchte die Einsicht der Führer ist schwächer.«

Trotz der Machtübertragung an die Nazis am 30. Januar 1933 begriff die KPD-Führung ihre vernichtende Niederlage nicht, sondern träumte statt dessen von einem reaktionär-vorrevolutionären Übergangsstadium zur proletarischen Revolution und schlug weiterhin auf die »Sozialfaschisten« der SPD ein, deren Führer seit 1914 ihre Anhänger nicht minder katastrophal ins Nichts geführt hatten. Daß das KPD-Mitgliedsbuch nicht automatisch Abstinenz von eigenem politischen Denken nach sich ziehen mußte, bewies Kostias Brief an seine Mutter vom 7. Februar 1933, acht Tage nach der Machtübergabe an die Nazis: »Wie geht es Dir?

Hoffentlich bedrückt Dich die politische Entwicklung nicht zu schwer. Unerwartet kam es ja nicht.

Freilich für die Komintern viel, viel schlimmer als 1923 [gemeint ist der gescheiterte ›Deutsche Oktober‹, eine von der Kommunistischen Internationale projektierte »Revolution«, von der nur der Hamburger Aufstand unter Ernst Thälmann stattfand – V. P.] oder in China [wo die Moskauer Revolutionphantasien 1927 in Tschiang Kai-scheks Shanghaier Massaker in Blut ertränkt worden waren – V. P.]. Da konnte man noch diskutieren über falsche Taktik u. Strategie. Aber jetzt kann man nicht einmal von einer Niederlage sprechen, einfach ein Versagen.

Billig die Schuld auf die S.P.D. zu schieben. Das ist eine Teilerklärung, aber keine Rechtfertigung für uns.«

Am 22. Februar 1933, fünf Tage, bevor die Nazis den Reichstag anzündeten – jüngst hielten, wenig überraschend, »wissenschaftliche« Literatur Verfassende unter der Ägide des ewigen Vorworters Hans Mommsen jubiläumsträchtig wieder einmal Nazi-Reinwaschtag –, schrieb Kostia an seine Mutter, deren Lebensuhr nur noch wenige Wochen weiterlaufen sollte:

»Mit Politik verschone ich Dich aus ärztlichen Gründen. Nur soviel: Eine Spontaneitätstheorie hatte Rosa [Luxemburg – V. P.] nie aufgestellt, aber, was sie über Massenbewegung u. Spontaneität geschrieben, wird jetzt grausam bestätigt. Eine objektiv revolutionäre Situation, wirtschaftlich; für den subjektiven Faktor einen zentralisierten, organisatorisch u. ideologisch durchdisziplinierten Apparat, wie noch nie vorher in der Geschichte der Arbeiterbewegung, u. dabei vollständige Passivität.«