Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 28. April 2008, Heft 9

Kleine Pekinger Welt

von Wolfgang Haible, Peking

Ende März hat die Universität bei mir die Heizung abgeschaltet; zum Glück hatte ich schon einen Schnupfen, sonst wäre ich auf die Idee verfallen, die Universitätsgewaltigen seien schuld. Nachdem sie meine Krankenversicherung eingespart haben, dürfte ihnen das aber auch in finanzieller Hinsicht egal sein.

Am Anfang des vergangenen Semesters hatte ich eine Gehaltserhöhung erhalten; hinterher stellte sich heraus, daß sie als Kompensation für den Wegfall der Krankenversicherung gedacht war. Die ministerielle Begründung lautete, daß es hier inzwischen zu viel Ausländer gebe. Man stelle sich vor, die würden alle gleichzeitig krank werden, das wäre das Ende der Devisenvorräte.

Meine Studenten glauben (fast) alle, daß man durch Arbeit reich werden könne, und für die meisten stehen Armut und Faulheit in einem engen Zusammenhang. Ich habe natürlich das Gegenteil behauptet und versucht, ihnen zu erklären, daß sie die typischen Illusionen der Mittelschicht teilen. Ob das eine gute Idee war, steht natürlich dahin. Sehr fruchtbar dürfte sie kaum wirken, denn diese »Kinder« leben in und für den Glauben, daß sich ihr vieles Lernen und der damit verbundene Verzicht auszahlen werde.

Nun, sie erwartet wahrscheinlich in ihrer Mittelschicht wirklich kein schlechtes, kein »armes« Leben; aber »richtig reich« werden sie kaum. Wie auch – mit Germanistik? Die hilft – bei den Frauen – höchstens fürs Ergattern einer guten Partie oder eines Stipendiums der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Und die Massenmedien, ob freie, das heißt nicht der Aufklärung und Wahrheit, sondern der herrschenden Klasse – die sie besitzt – verpflichtet, oder unfreie (siehe freie) sorgen überall für die gleichen Illusionen.

Im Bus habe ich großes Glück gehabt: einen Sitzplatz direkt vor dem Fernseher ergattert. Hier bietet jeder Bus Fernsehen. Es gab eine Übertragung aus Griechenland, man sah athletische Menschen mit Fackeln und Feuer posieren, wohl historische griechische Szenen, oder was wir dafür halten können, auf grüner Wiese nachgestellt. Es wirkte alles sehr pathetisch, aufgeblasen, erst recht ohne Ton.

Das Spektakel sahen sich vor Ort vor allem im Freien sitzende ältere Griechen an. Ihnen war anzusehen, daß das Posieren ihnen nicht ganz fremd ist. Die Fackel, die dann von einem Athleten in einer Turnhose und Sporthemd auf den Weg gebracht wurde – die Männer zuvor hatten Röckchen getragen, aber man will es wohl nicht übertreiben –, brannte auch unter Wasser, wie man in einer kurzen Szene sehen konnte, womit die überirdische Macht dieses Feuers eindrucksvoll bewiesen schien.

Der Fackelläufer war von Menschen umgeben, die aussahen, als wären auch sie Herren des Feuers, wenngleich eher des Dauerfeuers, sie liefen professionell nebenher.

Im Bus interessierte das niemanden; die Allgegenwart der Propaganda für die Olympiade droht die Menschen abzustumpfen. Ich finde diese olympischen Ringe mittlerweile sogar auf meiner Milchpackung, die freilich den Weg alles Vergänglichen geht.

Die Tibet-Berichterstattung in Deutschland und das Hochjubeln der Klerikalen waren nicht anders zu erwarten. Schauen wir mal, was Kurden, Nordiren und Basken daraus lernen werden.