von Hermann-Peter Eberlein
Herr Reichskanzler! Aus der Qual eines zerrissenen Herzens richte ich diese Worte an Sie, und es sind nicht die meinen, es ist die Stimme des Schicksals, die Sie aus meinem Munde mahnt: Schützen Sie Deutschland, indem Sie die Juden schützen … Ich bestreite diesen törichten Glauben, daß alles Unglück in der Welt von den Juden herrühre, ich bestreite ihn mit dem Recht, den Beweisen, mit der Stimme der Jahrhunderte, und wenn ich diese Worte an Sie richte, so geschieht es, weil ich keinen anderen Weg mehr weiß, mir Gehör zu verschaffen. Nicht als Freund der Juden, als Freund der Deutschen, als Sproß einer preußischen Familie, welche die Geschichte ihrer Ahnen bis in die Tage der Kreuzzüge verfolgen kann, aus Liebe zu meinem eigenen Volke richte ich diese Worte an Sie … Ich beschwöre Sie! Wahren Sie den Edelmut, den Stolz, das Gewissen, ohne die wir nicht leben können, wahren Sie die Würde des deutschen Volkes!«
Der Brief, dem diese Sätze entstammen, datiert vom April 1933 (der Eingang wurde von Martin Bormann bestätigt) und hat seinem Verfasser vier Monate Haft und Folter in verschiedenen Konzentrationslagern eingebracht. Mit Glück und selbst von Freunden vergessen hat er im Exil überlebt – auf dem Schriftstellerkongreß in Berlin 1947 hatte man seinen Namen bereits auf die Gedenktafel für die Märtyrer des Naziregimes gesetzt. Gestorben ist er vor dreißig Jahren, am 17. Mai 1978 in Rom.
Armin T. Wegner hatte Erfahrung mit offenen Briefen. Karl Liebknecht hat er einen geschickt, 1918, gegen die Legitimation revolutionärer Gewalt. US-Präsident Woodrow Wilson hat er einen geschickt, ein Jahr danach, um Hilfe für die verfolgten Armenier einzufordern. Beide Male hatte er keinen Erfolg. Aber diese offenen Briefe, der an Hitler zuerst, zeugen genauso beredt wie das literarische Werk von der moralischen Größe des Dichters und Pazifisten, Aufklärers und kritischen Journalisten.
Geboren wird Armin Theophil Wegner am 16. Oktober 1886 in Elberfeld als Sohn eines Bahnbeamten. Ortswechsel prägen seine Kinder- und Jugendjahre – vielleicht erklären sie seine spätere Reiselust. Erst 1908 besteht er die Reifeprüfung. 1914 promoviert er summa cum laude mit einer Arbeit über den Streik im Strafrecht zum Doktor der Rechte. Im Ersten Weltkrieg wird er als freiwilliger Krankenpfleger Mitglied der Deutsch-Ottomanischen Sanitätskommission für Kleinasien – in dieser Funktion erlebt er die Austreibung der Armenier in die mesopotamische Wüste, die er unter Lebensgefahr fotografisch dokumentiert.
Der Völkermord an den Armeniern wird ihn nicht loslassen: In Der Weg ohne Heimkehr. Ein Martyrium in Briefen hat er ihm 1919 ein literarisches Denkmal gesetzt – nicht so großartig wie Franz Werfels gewaltiges Epos Die vierzig Tage des Musa Dagh, aber anderthalb Jahrzehnte früher, unmittelbarer, betroffener. 1920 wird Wegener geschäftsführender Sekretär in dem von ihm mitbegründeten Bund der Kriegsdienstgegner; er heiratet die bekannte jüdische Dichterin Lola Landau, schreibt Gedichte, Reiseberichte, Novellen. Am Kreuzweg der Welten, ein Bericht über den Vorderen Orient, wird 1930 zum Bestseller. Als ein Jahr später Carl von Ossietzky wegen Landesverrats angeklagt wird, erklärt sich Wegner öffentlich mit dem Weltbühne-Herausgeber solidarisch.
Nach dem Brief an Hitler ist er dann selbst Opfer. Seine Bücher werden verbrannt, er geht ins italienische Exil, wo er als Lektor an der Universität Padua unterkommt. Lola Landau zieht mit der gemeinsamen Tochter nach Palästina – das Ende ihrer Ehe. Nach dem Krieg bleibt es still um den Vergessenen – in die bleierne Atmosphäre der Adenauerära paßt einer wie er nicht hinein. Er bleibt in Italien – in Rom –, heiratet erneut, unternimmt gelegentlich Lesereisen.
Das Bundesverdienstkreuz, das ihm endlich verliehen wird, muß er in Neapel entgegennehmen – die Fahrtkosten nach Deutschland will die Bundesregierung dem Dichter nicht zahlen. Den von-der-Heydt-Preis der Stadt Wuppertal erhält er, dazu höchste Auszeichnungen in Israel und Armenien, doch seine Werke sind einer neuen Generation unbekannt. In den siebziger Jahren erscheinen im Wuppertaler Peter Hammer-Verlag immerhin zwei Anthologien: Fällst du, umarme auch die Erde oder Der Mann, der an das Wort glaubt und Odyssee der Seele. Doch erst mit der Gründung der Armin T. Wegner-Gesellschaft im Herbst 2002 in Wuppertal kommt Bewegung in die Wegner-Rezeption. Der Brief an Hitler wird im selben Jahr neu aufgelegt, mit einem Vorwort von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Der Briefwechsel mit Lola Landau aus den Jahren 1933 und 1934 ist mittlerweile erhältlich, Tagungen und Veranstaltungen finden statt.
So auch zum dreißigsten Todestag: Am 17. Mai um 17 Uhr wird im Literaturhaus Berlin in der Fasanenstraße unter dem Titel Seine Schreibtafel war die Erde ein Einblick in Wegners Gesamtwerk gegeben, am 9. September um 19 Uhr in der Guardini-Galerie am Askanischen Platz eine Ausstellung zum photographischen Werk eröffnet. Und auch in Wuppertal und in Neuglobsow am Stechlinsee, wo Wegner einst mit seiner ersten Frau glückliche Jahre verbrachte, wird es Gedenkveranstaltungen geben.
Daß freilich erst jetzt eine Werkausgabe vorbereitet wird, zeugt davon, wie selbstvergessen man in unserem Land mit dem großen Erbe des Humanismus umgegangen ist. Der Brief an Hitler jedenfalls gehört zu den ganz großen Manifesten des deutschen Geistes.
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