von Günter Wirth
1955 hatte der Union Verlag mit Zustimmung des Autors und des S. Fischer Verlags die Unruhige Nacht von Albrecht Goes in der DDR herausgebracht, diese meisterhafte Novelle des schwäbischen Schriftstellers, in der es um die individuelle Entscheidung eines Kriegspfarrers an der »Ostfront« angesichts der von ihm erwarteten Begleitung eines wegen angeblicher Unterstützung von Partisanen zum Tode verurteilten Soldaten geht. Zur gleichen Zeit wurde in der Bundesrepublik die andere Erzählung, die den Ruf von Albrecht Goes in besonderer Weise begründen und befördern sollte, veröffentlicht: Das Brandopfer, die denkwürdige Geschichte einer »einfachen« Metzgersfrau, die gleichsam zur Seelsorgerin von Juden und Jüdinnen wurde, die allein bei ihr und dazu ausschließlich zur Zeit des Sabbats einkaufen durften. Die Fleischerei wurde damit zum Ort illegaler Sabbatfeiern. Es ist dies nur einer von mehreren erzählerischen Strängen, die auf die jüdische Thematik, vor allem auf die schuldhafte Verstrickung jedes einzelnen in die Shoah, weisen.
Natürlich wollte der Union Verlag auch diese Erzählung publizieren, dem Rat Otto Nuschkes folgend, der jüdischen Thematik, der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Wir erfuhren allerdings, die Option auf Das Brandopfer habe bereits der Aufbau-Verlag. Als damals im Hauptvorstand der CDU für Kulturpolitik verantwortlicher Mitarbeiter entschloß ich mich, den Cheflektor des Aufbau-Verlags, den aus den USA zurückgekehrten jüdischen Kommunisten Max Schroeder, anzurufen und unseren Anspruch auf dieses wichtige Stück christlicher Literatur anzumelden. Was Schroeder, ein sensibler Literaturkenner, mir damals antwortete, war so schlagend, daß es nie vergessen werden konnte: Es mag ja sein, antwortete er mir, daß diese Erzählung für Sie ein wichtiges Stück christlicher Literatur ist. Zuallererst ist sie aber ein wichtiges Stück Nationalliteratur – und daher gehört sie zunächst zu uns.
An diesen mehr als anekdotischen Vorgang sei einmal erinnert, weil er beiläufig als Dementi jener Debatten angesehen werden kann, die in letzter Zeit über die Frage stattfinden, ob denn nicht das Jüdische in der DDR generell tabuisiert gewesen sei und gewissermaßen unter Verdacht gestanden habe; das Diktum Max Schroeders ist wohl ziemlich eindeutig.
Zum anderen erinnert man sich bei dieser Gelegenheit daran, daß am 22. März 2008 der 100. Geburtstag von Albrecht Goes zu begehen war, und in Stuttgart (wo der Schriftsteller zuletzt lebte und 2000 starb) und Umgebung wird er im ganzen Jahr opulent begangen. Pünktlich zu diesem 100. Geburtstag ist (bei Klöpfer & Meyer in Tübingen) ein Buch des schwäbischen Pfarrers Helmut Zwanger erschienen, in dem er Albrecht Goes exklusiv als »Freund Martin Bubers und des Judentums« würdigt. Helmut Zwanger kann in der Analyse des Brandopfers und der Erzählung Das Löffelchen (1965), in einigen Gedichten und vor allem in Essays sowie Vorträgen über Martin Buber (darunter in der Laudatio auf Buber anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1953) die singuläre Rolle dieses Schriftstellers und Geistlichen im literarischen Leben und im Protestantismus genau herausarbeiten, zumal seine kämpferische Auseinandersetzung mit allen Erscheinungsformen des Antisemitismus. Und wenn diese nicht zuletzt den religiösen Vorurteilen und Werturteilen gilt, dann verkörpert sich in diesem Schriftsteller, wie Zwanger zeigen kann, die positive Hinwendung eines Gläubigen des Neuen Bundes zu denen des Alten, also zum jüdischen Monotheismus.
Zwanger ist überdies in der Lage, aus dem Goes-Nachlaß in Marbach zahlreiche Belege intensiven freundschaftlichen Briefverkehrs von Albrecht Goes mit Martin Buber, der Nobelpreisträgerin Nelly Sachs, mit Simon Wiesenthal oder Primo Levi vorzulegen. Und es ist erfreulich, daß dieser Autor die seinerzeitige Rezeption von Goes in der DDR in angemessener Weise würdigt. Daher gibt es auch heute noch in den neuen Bundesländern eine »Goes-Gemeinde«.
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